BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Oktober – Falllaub

Sind unter uns eigentlich auch Science-Fiction-Fans? Solche, die von Zeitreisen in ferne, graue Urzeiten träumen? Nun, das ist in gewissem Sinne einfacher, als man denkt. Man braucht nur in den nächsten Wald zu gehen und auf den Boden zu schauen. Dort findet sich ein Lebensraum, der sich seit Jahrmillionen im Wesentlichen nicht verändert hat: Die Rede ist vom Falllaub. Mögen die Wälder im Laufe der Erdentwicklung auch ständig gewechselt haben von Schachtelhalm- und Bärlappwäldern im Devon und Karbon über die Araukarien- und Mammutwälder in der von Dinosauriern beherrschten Jura- und Kreidezeit bis hin zu den Laubwäldern unserer Zeit, immer gab es welke Blätter und abgestorbene Zweige, die zu Boden fielen und dort von Pilzen zersetzt wurden (Bild 1). Und so haben im Falllaub eine Vielzahl urtümlicher Krabbeltiere den Gang der Zeiten überdauert.

Bild 1

Das sind zunächst einmal Massen von winzigen, flügellosen Urinsekten, die in der Evolution nie soweit gekommen sind, dass sie Flügel entwickelt hätten. Dafür aber hat die größte Gruppe unter ihnen, die Springschwänze, eine gabelförmige Extremität, eben den Springschwanz, entwickelt, mit dem sie weit herumhüpfen können, und zwar so weit, dass wir, wenn wir im Vergleich zur jeweiligen Körpergröße ebenso weit springen könnten, keinen Flieger mehr bräuchten, um nach New York zu kommen. Leider kann ich kein Bild bieten, denn jedes Mal, wenn ich ein Foto machen wollte, habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Schwänze nun mal springen. Aber ich glaube, jeder kennt sie sowieso, denn sie siedeln sich auch gerne im Zimmer auf feuchter Blumenerde an.

Die nächste wichtige Gruppe sind die Asseln. Die allgegenwärtige Kellerassel (Bild 2) kennt wohl ebenfalls jeder, und deshalb macht sich wohl auch selten Gedanken, wie eigenartig die Asseln sind. So sehen sie ja wirklich wie lebende Fossilien aus – sie ähneln ein wenig den Trilobiten, die uns nur durch Versteinerungen bekannt sind und schon ausgestorben waren, bevor der erste Dinosaurier über die Erde stampfte. Die Ähnlichkeit ist aber oberflächlich, denn sie sind nicht näher mit den Trilobiten verwandt. Tatsächlich sind die Asseln Krebse, und das ist seltsam genug. Generell ist es ja so, dass die Krebse in’s Meer gehören und das Land die Domäne der Insekten ist (das Süßwasser teilen sie sich). Doch den Asseln ist es dennoch gelungen, an Land Fuß zu fassen. Dort leben sie an feuchten, schattigen Orten, wo sie sich von fauligem Pflanzenmaterial und von Pilzfäden ernähren. Manche Asseln haben für ihr Landleben tracheenartige Atmungsorgane entwickelt, wie Insekten sie haben, viele Arten sind jedoch bei der Kiemenatmung geblieben. Da das nur im Wasser funktioniert, haben diese Arten für ihre Kiemen eigene Wasserkapseln, in denen dann regelmäßig das Wasser ausgetauscht werden muss. Das ist sicherlich umständlich, funktioniert aber offenbar.

Bild 2

Nicht alle Asseln sind so groß wie die allbekannte Kellerassel. Die Zwergassel (Bild 3) bringt es gerade mal auf einen Millimeter und ist damit in einer ähnlichen Größenklasse wie die Springschwänze. Deshalb werden sie auch leicht übersehen, zumal sie ja meistens tief im Falllaub herumwuseln. Eher im Offenen lebt hingegen die Kugelassel (Bild 4). Sie ist etwa so groß wie eine Kellerassel und verlässt sich auf ihre starke Panzerung. Bei Gefahr rollt sie sich zu einer Kugel zusammen, wie der Name schon ahnen lässt, und hofft darauf, dass sie so unangreifbar ist.

Bild 3
Bild 4

Das macht auch der Saftkugler (Bild 5), der ganz ähnlich aussieht, aber zu einer ganz anderen Tiergruppe gehört, nämlich den Tausendfüßler, oder besser gesagt: zu den Doppelfüßlern. Die Tausendfüßler, die keineswegs Tausende von Füssen haben, sondern maximal ein paar Hundert (was auch schon beeindruckend genug ist), zerfallen nämlich in zwei große Gruppen: Solche mit nur einem Beinpaar pro Segment und solchen mit zweien, und das sind die Doppelfüßler.

Bild 5
Bild 6

Zu dieser großen Gruppe gehört auch der Bandfüßler (Bild 6), der seinen Namen wegen seines bandförmigen Aussehens bekommen hat. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man schnell, dass das flache Band in Wirklichkeit eine Abfolge verbreiterter Rückenschilde ist. Der Bandfüßler kann sich nicht einrollen wie Kugelassel und Saftkugler. Die Evolution hat ihm eine andere Strategie gegeben, um sich zu schützen: Er ist mit seinen Rückenschilden zu sparrig für kleine Schlünde, denen der Nahrungsgehalt des Tieres reichen würde, und für die großen Mäuler, die ihn vertilgen könnten, ist einfach nicht genug dran, als dass sich der Biss lohnen würde.

Alle Doppelfüßler leben von Pflanzenabfall, ähnlich wie die Asseln. Durch diese Tätigkeit werden die toten Blätter zerkleinert und natürlich zu einem erheblichen Teil in Kotpillen umgewandelt. Das erleichtert den Hauptakteuren des Laubrecyclings, den Bakterien und Pilzen, die Arbeit erheblich, so dass die Bedeutung dieser primitiven Gliedertiere gar nicht zu unterschätzen ist.

Die Pilze wiederum wandeln all das tote organische Material in der Laubstreu nach und nach in mineralische Nährstoffe um, so dass sie den grünen Pflanzen erneut zur Verfügung stehen und so den Stoffkreislauf des Ökosystems schließen.

Viele Pilzarten, wie zum Beispiel die Herbstlorchel (Bild 7) beschränken sich auf genau diese Rolle, viele andere aber gehen einen Schritt weiter und geben ihre Abbauprodukte gleich direkt an die Pflanzen ab. Dafür erhalten sie von den Pflanzen Zucker und andere Produkte ihrer Photosynthese, so dass beide etwas davon haben. Diese echte Symbiose, bei der die Pilze die Wurzelfäden der Bäume umwachsen, nennt man Mykorrhiza. Dabei nimmt nicht jeder Pilz auch jeden Baum an. Birkenpilze (Bild 8) und Fliegenpilze (Bild 9) zum Beispiel bevorzugen eindeutig Birken, während Pfifferlinge (Bild 10) lieber an Buchen oder Fichten wachsen. Steinpilze (Bild 11) wiederum besiedeln ein weites Spektrum von Laub- und Nadelbäumen.

Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10
Bild 11

Damit wäre alles zum Besten gefügt, würde man meinen, aber es gibt da auch noch weitere Nutznießer, die in das Zusammenspiel von Asseln, Doppelfüßlern, Pilzen und Bäumen eingreifen. So werden die Pilze von Schnecken angegangen, vor allem von den gestreiften Egelschnecken (Bild 12), unserer größten Nacktschnecke, die übrigens im Garten keinen Schaden anrichtet, sondern eher nützlich ist, weil sie neben Pilzen auch die Eier der Wegschnecken frisst, die ihrerseits unser Grünzeug vernichten.
Die ganze Krabbeltiervielfalt wird ebenfalls dezimiert, und zwar von ihresgleichen. So ist unter den Tausendfüßlern die zweite große Untergruppe, realitätsnäher als Hundertfüßler bezeichnet, durchaus räuberisch. Das sieht man ihrem häufigsten Vertreter, dem Steinläufer (Bild 13) auch an, der über mächtige Kieferzangen verfügt, mit denen er giftige Bisse setzen kann. Er ist ein Verwandter des tropischen Skolopenders, dessen Bisse wegen seiner Größe auch Menschen gefährlich werden können. Der kleine Steinläufer ist dazu jedoch nicht in der Lage, weil er nicht kräftig genug ist, um die menschliche Haut zu durchschlagen.

Bild 12
Bild 13
Bild 14

Das gilt auch für die Spinnen, die allesamt über Giftklauen verfügen, die jedoch bei unseren heimischen Arten nicht stark genug sind, um uns zu schaden. Stattdessen sind sie für uns ungemein nützlich, denn ohne sie wären wir längst verhungert. Allem unangebrachten Ekel zum Trotz erbeuten Spinnen schädliche Insekten in Massen. Das tun sie normalerweise, indem sie diese Insekten mit ihren Netzen aus der Luft fischen. In der Laubstreu sind jedoch Jagdspinnen (Bild 14) unterwegs, die keine Netze bauen, sondern aktiv laufend ihrer Beute nachstellen.

Bild 15

Auf kleinere Beute ist dann wieder die Samtmilbe (Bild 15) aus. Milben gehören in die weitere Verwandtschaft der Spinnen, haben aber keine Giftklauen, sondern nur einen Rüssel, mit dem sie ihre Beute anstechen und dann aussaugen. Nun ja, Räuber waren noch nie zimperlich.
Insgesamt finden wir also eine Fülle von zwar primitiven, aber doch spannenden Lebewesen in der Laubstreu, die im Kleinen ein genauso vielfältig verflochtenes Ökosystem bildet wie im Großen der Wald, in dessen Schatten sie liegt.
Dr. Heinz Klöser

Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/oktober_fallaub/