BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Mai – Bruchwälder

Wenn man in unserer Region an Naturwälder denkt, dann fallen einem zunächst einmal Buchenwälder ein, vielleicht auch Eichen-Birken-Wälder auf trockenen Sandflächen. Mindestens genauso typisch für unsere Landschaft sind jedoch auch die Erlenwälder, die es in verschiedenen Ausprägungen gibt, denn sie wachsen an recht unterschiedlichen Orten: an den Ufern unserer zahlreichen Seen (Bild 1), in nassen Senken (Bild 2), in Quellmulden (Bild 3), an Bächen entlang (Bild 4) und – dann meist mit Birken zusammen – in Moorgebieten (Bild 5). Gemeinsam ist diesen Stellen eigentlich nur, dass sie ganzjährig nass sind.

Bild 1
Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5

So bieten Quellmulden besonders ausgeglichene Verhältnisse. Beständig tritt kühles Wasser aus dem Untergrund; und da dieses Wasser normalerweise als im Boden versickertes Regenwasser begonnen hat, bringt es reichlich Sauerstoff mit. Solche Verhältnisse liebt das Milzkraut (Bild 6), das wegen seiner milzähnlichen Blätter von den Anhängern der Signaturenlehre zum Heilkraut für Milz- und Leberleiden erklärt wurde. Das hat aber wohl nicht funktioniert, da man inzwischen davon abgekommen ist. Ebenfalls ist man davon abgekommen, die Brunnekresse (Bild 7) als Salat zu essen. Das ist weniger verständlich, denn diese Pflanze, die das klare Wasser der Quellbäche liebt, ist durchaus schmackhaft und gesund und wird in Ländern wie Frankreich, Spanien und Argentinien auch heute noch gerne verzehrt.

Bild 6
Bild 7

Je nach Untergrund, aus dem das Wasser quillt, bringt es auch unterschiedliche Mineralien mit. In kalkhaltigen Quellsümpfen finden sich dann mitunter zwei besonders eindrucksvolle Schachtelhalme, der Winterschachtelhalm und der Riesenschachtelhalm (um Missverständnissen vorzubeugen, sei angemerkt, dass beide Arten im Gegensatz zum allgegenwärtigen Ackerschachtelhalm, der den Gärtnern das Leben schwer macht, selten sind und unter Schutz stehen). Der Winterschachtelhalm (Bild 8) ist immergrün und kommt an vielen verschiedenen Stellen vor, sofern sie kalkhaltig und feucht sind. Der Riesenschachtelhalm hingegen stirbt im Winter ab und drängt jetzt wieder neu aus dem Boden (Bild 9). Er ist enger an Kalkquellen gebunden als der Winterschachtelhalm, und als unsere größte Schachtelhalmart kann er im Verlauf des Sommers über einen Meter hoch werden und dem Quellwald ein ganz eigenes Gepräge verleihen, wie zum Beispiel an mehreren Orten am Ostufer des Ratzeburger Sees (Bild 10).

Bild 8
Bild 9
Bild 10

Am Westufer des Ratzeburger Sees hingegen kann man häufig einen anderen Erlenwaldtyp finden, in dessen Unterwuchs auffällig stark die Schwarze Johannisbeere Gebüsche bildet (Bild 11). Während sie im Sommer mit ihren schwarzen Beeren unverkennbar ist und uns ja auch als Gartenstrauch wohlbekannt ist, fällt sie jetzt im Frühling mit ihren grünlichen Blüten (Bild 12) kaum auf. Die hier aus den Hangquellen ablaufenden Bäche führen weniger kalkreiches und wohl auch weniger kaltes Wasser, da der Westhang das Licht der warmen Abendsonne erhält.

Bild 11
Bild 12

Ganz andere Bedingungen als an Quellen und Bächen herrschen hingegen an den flachen Verlandungszonen der Seeufer (Bild 1) oder in nassen Mulden (Bild 2), wo das Wasser dauerhaft im Boden steht. In den Bruchwäldern, die sich hier bilden, fällt das Laub im Herbst zu Boden wie in allen Wäldern. Und wie in allen Wäldern beginnt dann im Boden das Laub zu verrotten. Daran sind Myriaden von Bakterien und Pilze beteiligt, die für ihre Aktivität Sauerstoff benötigen, so dass der im Wasser enthaltene Sauerstoff nach und nach aufgebraucht wird. Da aber in den Bruchwäldern das Wasser steht und nicht sickert, ist schließlich der gesamte Sauerstoff im nassen Unterboden verschwunden. Das im Boden reichlich vorhandene Eisen verbindet sich mit dem ebenfalls reichlich vorhandenen Schwefel zu Eisensulfid, einem Mineral, das goldfarbene Katzengoldkristalle bilden kann, im Boden aber als feines schwarzes Pulver vorliegt, so dass schon man an der Farbe des Bodens erkennen kann, ab welcher Tiefe er sauerstofffrei ist (Bild 13). Der Oberboden, in den von der Oberfläche her Sauerstoff eindringt, ist hingegen rotbraun (ebenfalls Bild 13), da sich hier das Eisen mit dem Sauerstoff verbindet und rotbraunen Ocker bildet, der nichts anderes ist als natürlicher Rost.

Bild 13

Ein weiterer wichtiger Unterschied zu Quellen und Bächen ist, dass sich in den Bruchwäldern der Wasserstand im Jahresgang erheblich verändern kann. Im Winter und oft bis tief in das Frühjahr hinein stehen die Bruchwälder meist unter Wasser (Bild 14), um dann im Laufe des Sommers zumindest oberflächlich trocken zu fallen (Bild 15). Damit steigen und fallen aber auch die Zonen, in denen der Boden Sauerstoff enthält oder nicht. Im Winter erreicht die sauerstofffreie Zone oft die Bodenoberfläche, und das Eisen bindet sich an Schwefel. Sinkt das Wasser wieder, wird der Oberboden belüftet, und der Schwefel wird vom Sauerstoff verdrängt, so dass sich Pfützen voller Ocker bilden (Bild 16). Der Ocker fällt aus und bleibt zurück. Da sich in der Regel nicht der gesamte Ocker während der winterlichen Überschwemmung in Eisensulfid zurückverwandelt, lagert sich im Laufe der Jahre mehr und mehr Ocker in bisweilen ansehnlichen Bänken an (Bild 17), die man früher als sogenanntes Raseneisenerz auch abgebaut hat. Das Ruhrgebiet ist so entstanden, als man die anfangs an der Oberfläche der Berghänge am südlichen Ruhrufer anstehende Kohle nutzen konnte, um das in der Ruhrtalaue abgelagerte Raseneisenerz zu verhütten.

Bild 14
Bild 15
Bild 16
Bild 17

Der freigewordene Schwefel wiederum schwimmt als schillernde, dünne Schicht auf dem abfließenden Wasser (Bild 18). Das ähnelt durchaus einer auf dem Wasser schwimmenden Ölschicht, und manch einer hat dann schon eine große Umweltschweinerei vermutet. Man kann das eine aber leicht vom anderen unterscheiden: Ölfilme verlieren sich in immer dünneren Schlieren, wenn sie sich ausdehnen, während die Schwefelschichten auseinanderbrechen wie Eisschollen (Bild 19).

Bild 18
Bild 19

Der Sauerstoffmangel im Unterboden bringt es auch mit sich, dass die Erlen, die entlang von Bächen und in Quellsümpfen tief wurzeln, in den Bruchwäldern meist nur flache Wurzelteller ausbilden, da die Wurzeln im tieferen Boden ersticken. Damit fehlt ihnen aber auch die Standfestigkeit, die sie anderenorts haben, so dass bei Stürmen regelmäßig Windwürfe die Folge sind (Bild 20). Bis zu einem gewissen Grad kann die Erle das kompensieren, indem sie in Zeiten der Überstauung Wassserwurzeln bildet (Bild 21), die mit der Zeit einen breiten Sockel bilden können (Bild 22), so dass manche alte Stämme sehr dickfüssig aussehen (Bild 23).

Bild 20
Bild 21
Bild 22
Bild 23

Dass unter solch andersartigen Bedingungen auch der Unterwuchs sich stark von dem in Bachauen und Quellwäldern unterscheidet, wundert eigentlich nicht sehr. In den Bruchwäldern herrschen Seggen vor, insbesondere die Walzensegge (Bild 24), die sattgrüne Bulten bildet, und die Sumpfsegge (Bild 25), die eher in röhrichtartigen Beständen wächst und ein bläuliches Laub trägt. An nasseren Senken findet sich auch die Steife Segge, die einen besonderen Trick hat: Sie wächst auf ihren eigenen Resten allmählich in die Höhe, und der Torfsockel, auf dem sie schließlich thront, erlaubt ihr, bei hohen Wasserständen über dem Wasserspiegel zu bleiben (Bild 26). Fällt der Wasserspiegel jedoch, leitet der Torfsockel das benötigte Wasser zuverlässig wie ein Lampendocht nach oben (Bild 27). An nährstoffreicheren Stellen kommt die prächtig blühende Gelbe Schwertlilie hinzu (Bild 28), an eher nährstoffarmen, aber kalkhaltigen Stellen auch der Sumpffarn (Bild 29).

Bild 24
Bild 25
Bild 26
Bild 27
Bild 28
Bild 29

Damit findet sich eine durchaus abwechslungsreiche Pflanzenwelt ein, und es liessen sich leicht weitere Arten aufführen. Wir wollen aber nicht vergessen, dass die Erlenbrüche nicht nur botanisch spannend sind, sondern dass sie auch für manche Tiere ausschlaggebende Bedeutung haben. Erlenbrüche sind sumpfig, unwegsam und trügerisch. Alleine dieser Umstand verschont sie vor nennenswerten Besuch durch störende Menschen. Aus genau diesem Grund sind die Erlenbrüche in besonderem Maße geeignet, den Kranichen Nistplätze zu bieten. Kraniche haben sich ja in den letzten Jahren wieder erfreulich vermehrt, und man kann sie bei uns regelmäßig wieder am Himmel beobachten (Bild 30). Als Brutvogel sind sie jedoch nach wie vor scheu und störungsempfindlich. Da sie am Boden brüten, sind sie erst recht durch ahnungs- und sorglos durch den Wald streifende Besucher bedroht, die womöglich auch noch ihre Hunde verbotenerweise frei laufen lassen.

Bild 30

Noch sensibler sind die letzten Schwarzstörche, die wir noch haben (Bild 31). Sie brüten zwar in den Baumkronen, doch sind die großen, stillen Wälder mit den erhabenen, alten Bäumen, die sie als Brutplatz benötigen, fast ganz dem Forstbetrieb und dem Lärmen der erhohlungssuchenden Bevölkerung anheim gefallen. Welch ein Glück ist es da, dass sich die Bruchwälder weiterhin den menschlichen Umtrieben verschließen. In unserem eng gewordenen, überbevölkerten Land schadet es überhaupt nicht, wenn ein paar Flächen mal nicht für irgendwelche Nutzungen zur Verfügung stehen.
Dr. Heinz Klöser

Bild 31
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/mai_bruchwaelder/