BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


März – Die großen Seen

Es wird Frühling. Und während in den Wäldern frisches Grün aus dem Boden sprießt, liegen die großen Seen still und weit wie schon immer, seitdem die Gletscher der Eiszeit sie geschaffen haben (Bild 1). Doch diese Stille täuscht. Auch in den Seen regt sich der Frühling, auch wenn wir davon nicht viel mehr mitbekommen als, dass das Eis geschmolzen ist.

Bild 1

Wer aber genauer hinsieht, der bemerkt vielleicht auch, dass das winterlich klare Wasser relativ rasch immer trüber wird und dabei eine grünlich-bräunliche Färbung annimmt. Der Grund dafür ist die sogenannte Algenblüte. Natürlich können Algen nicht blühen, und mikroskopisch kleine, einzellige Algen schon gar nicht, die hinter dem Phänomen der Algenblüte stehen. Tatsächlich ist eine Massenvermehrung dieser winzigen Wesen gemeint, die zuverlässig jedes Jahr im Frühling und etwas schwächer ausgeprägt noch einmal im Herbst stattfindet. Die eigentlich einzelligen Algen bilden dann große Kolonien, und das in solchen Mengen, dass sich das Wasser eintrübt. Dabei haften die Zellen meist in voller Breite aneinander, so dass lange Schnüre (Bild 2) oder Bänder (Bild 3) entstehen. Manche Arten hängen aber auch nur an den Ecken zusammen, und dann bilden sich Kolonien in Form von  Ketten (Bild 4) oder sogar Sternen (Bild 5).

Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5

Alle diese Formen gehören den Kieselalgen an, so genannt, weil die Zellen eine zweiteilige Schale aus Kieselsäure - Quarz – besitzen, deren Teile wie Deckel und Dose einer Schachtel ineinanderpassen. Die Schale ist stabil, so dass sie die Zellen vor den Scherkräften des von Frühjahrsstürmen aufgewühlten Wassers schützt. Sie ist aber auch schwer, so dass sie die Zellen auch von den Turbulenzen des Wassers abhängig macht, weil sie ohne die ständige Wellenbewegung absinken würden.

Genau dies geschieht im Sommer, wenn sich das Wasser beruhigt und die Kieselalgen am finsteren Seegrund enden, fernab des Sonnenlichtes, das sie für ihre Photosynthese brauchen. Im nun stillen Wasser an der Oberfläche übernehmen jetzt andere Arten, überwiegend einzellige Grünalgen, die Schalen aus leichter Zellulose tragen (Bild 6) und mit Auswüchsen ausgestattet sind, die ein Absinken erschweren sollen (Bild 7). Eine andere Strategie haben die sogenannten Augentierchen, deren Name schon darauf hinweist, dass es im mikrobiellen Bereich gar nicht so einfach ist, tierische und pflanzliche Lebewesen voneinander zu scheiden (in der Wissenschaft wird das auch nicht mehr gemacht, sondern es gibt längst ein viel ausgefeiltere Systematik). Sie tragen gar keine Schale, dafür aber eine Geißel, mit der sie sich wieder an die Oberfläche hinauf arbeiten können, wenn sie absinken (Bild 8). Trotz dieser Anpassungen können diese sommerlichen Schwebealgen jedoch keineswegs die hohen Bestände aufbauen wie die Kieselalgen des zeitigen Frühjahrs.

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9

Der Grund dafür liegt in einer besonderen Eigenschaft des Wassers: Wasser mit unterschiedlicher Temperatur (und m Meer auch solches mit unterschiedlichem Salzgehalt) mischt sich nicht so ohne Weiteres. Wenn nun die Sonne im Frühling immer kräftiger scheint, wärmt sie das Wasser auf. Bei Tümpeln, Weihern und Teichen erreichen Licht und Wärme auch den Gewässerboden, bei den großen Seen jedoch nicht. Und so bildet sich in den großen Seen eine warme, lichtdurchflutete Oberflächenschicht über einer dunklen, winterlich kalt bleibenden Tiefenzone. Beide sind voneinander durch eine sogenannte Sprungschicht getrennt, so genannt, weil sich dort Temperatur und einige andere Kennwerte sprunghaft ändern, wenn man nachmisst.

Die Folgen davon sind dramatisch: Während bei ausgeglichener Temperatur im Frühling und im Herbst die Sprungschicht verschwindet, so dass die Stürme den ganzen See umwälzen und so Nährstoffe vom Seeboden an die Oberfläche bringen können und damit das üppige Wachstum der Kieselalgen auslösen, bleibt nun das Oberflächenwasser von den nährstoffreichen Tiefen geschieden, so dass sich die Nährstoffe an der Oberfläche auszehren und das Wachstum in der Algen begrenzt.

Hinzu kommt, dass sich in der Wärme winzige Tiere entwickeln, die die Algen fressen, was den Algenbestand weiterhin vermindert. Diese im Wasser schwebenden Tiere gehören weit überwiegend zu den Ruderfußkrebsen, die man bereits mit bloßem Auge erkennen kann, auch wenn sich die Details immer noch eher unter dem Mikroskop erschließen. Sie sind meist durchsichtig und tragen ein einzelnes Auge auf dem Scheitel, was einer der häufigsten Arten den wissenschaftlichen Namen Cyclops eingebracht hat nach den einäugigen Riesen der griechischen Sage; damit dürfte sie der winzigste Riese der Welt sein (Bild 9).

Dennoch sind diese Winzlinge, die man allesamt als Plankton (griechisch für „das Schwebende“) zusammenfasst, die Basis für die Nahrungsnetze der Seen. Von den kleinen Krebschen leben die Fische des offenen Wassers wie zum Beispiel die Rotfedern, die mit ihrem nach oben gerichteten Maul prädestiniert sind, Nahrung ganz nah an der Wasseroberfläche aufzunehmen (Bild 10), und das sehr ähnliche Rotauge (Bild 11), das aber kein oberständiges, sondern ein nach vorne gerichtetes Maul aufweist und sich gerne etwas tiefer aufhält.

Bild 10
Bild 11
Bild 12

Diesen Kleintierfressern wiederum stellt der Zander nach (Bild 12), der sich zwar gerne am Boden und noch lieber in den Zweigen von ins Wasser gestürzten Bäumen ausruht, aber ein Jäger des offenen Wassers ist. Das tun auch verschiedene Vögel, die über den Seen kreisen. Dabei fangen sie nicht einfach irgendwelchen Fisch, sondern nutzen mit unterschiedlichen körperlichen Fähigkeiten und Strategien unterschiedliche Teile des Gesamtbestandes. So ist der Fischadler (Bild 13) in der Lage, große Fische zu erbeuten, aber nur, wenn sie ganz dicht an die Wasseroberfläche kommen, denn tachen kann er gar nicht und schwimmen nur mit Mühe. Demgegenüber kann der Kormoran (Bild 14) bis in Tiefen von 15- 20m vorstoßen, wobei dort eher kleinere Fische bevorzugt.

Bild 13
Bild 14

Dem entziehen sich die Großen Maränen (Bild 15), die in Schwärmen durch das tiefere Wasser ziehen, meist unterhalb der Sprungschicht, wo es ausreichend kalt für sie ist. Sie sind nämlich echte Eiszeitrelikte, deren Verwandte die großen Ströme und Seen in Skandinavien, Sibirien oder Kanada bevölkern. Bei uns hingegen bieten ihnen nur noch die Tiefen der großen Seen einen geeigneten Lebensraum. Ihre Nahrung dort stammt dennoch aus dem Plankton der Oberfläche, von dem Einiges dann eben doch in die dunklen Tiefen des Sees herunter sinkt. Von diesem beständigen Regen von oben hängen nicht nur die Maränen ab, sondern eigentlich alles, was in diesen Tiefen lebt.

Bild 15

Dort lagert sich das absinkende Material als feiner Schlamm ab, der im Wesentlichen von kleinen Würmern (Bild 16) umgesetzt wird. Die wiederum bieten dann den Grundfischen Nahrung, allen voran den Schleien, den Schlammwühlern schlechthin (Bild 17), und den heimlichen Quappen (Bild 18), die insofern etwas Besonderes sind, als sie die einzige im Süßwasser vorkommende Angehörigen der im Meer so wichtigen Dorschfamilie sind. Aale hingegen haben unterschiedliche Vorlieben. Bei ihnen gibt es breitköpfige Individuen, die im freien Wasser nach schwimmender Beute jagen, und spitzköpfige (Bild 19), die im Schlamm nach Würmern buddeln.

Bild 16
Bild 17
Bild 18
Bild 19

Aber selbst am Grund der tiefen Seen ist man vor den gefiederten Fischjägern nicht völlig sicher. Auf den Seen treiben sich große, entfernt pinguinartig aussehende Vögel herum, der recht häufige Haubentaucher (Bild 20) und der sehr viel seltenere Rothalstaucher (Bild 21). Sie tragen ihren Namen „Taucher“ nicht zu Unrecht, denn sie in der Lage, auch größere Wassertiefen zu erreichen. Den Rekord hält zur Zeit der Haubentaucher mit bis zu 60m! Solche Tauchgänge sind jedoch anstrengend und in den dunklen Tiefen nicht immer erfolgreich, so dass man sich um den Fortbestand der dort unten lebenden Fische keine Sorge machen muss. 

So spielen sich unter der Oberfläche der so friedlich da liegenden Seen spannende, dynamische Entwicklungen ab, die sich uns Landratten nur mittelbar erschließen, indem wir den Vögeln zuschauen, sehen, was die Fischer gerade an Land gebracht haben, mal mit einer Schnorchelmaske ins Wasser steigen oder vielleicht sogar mal durch ein Mikroskop schauen. Spannend ist es allemal.
Dr. Heinz Klöser

Bild 20
Bild21
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/maerz_seen/