BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Juni – Klares Wasser

Es hat sich wohl inzwischen unter dem Anteil unserer Mitmenschen, denen die Natur am Herzen liegt, herumgesprochen, dass der Artenreichtum unserer Heimat vor allem durch ein Übermaß an Stickstoff zerstört wird, das durch Industrie- und Autoabgase, vor allem aber durch landwirtschaftliche Gülleentsorgung hervorgerufen wird. Da klingt es geradezu paradox, dass gerade Pflanzen von ohnehin artemarmen Lebensräumen besonders stark verschwinden. Wie kann das sein? Artenarme Lebensräume sind in der Regel die Folge von Mangelsituationen, in denen es einigen wenigen hochspezialisierten, aber konkurrenzschwachen Pflanzenarten gelingt, noch ein Dasein zu fristen, weil die bedrohliche Konkurrenz mit dem Mangel schon nicht mehr zurecht kommt. Solche Pflanzen wachsen nur langsam und bilden meist nur einen Zwergwuchs aus, weil sie mit den knappen Nährstoffen haushalten müssen. Bringt man in deren Lebensräume zusätzliche Nährstoffe ein, breiten sich unweigerlich normalere, anspruchsvollere Pflanzen aus und verdrängen die genügsamen Zwerge.

Lebensräume für solche zwergigen Arten sind dementsprechend extrem rar geworden. Dazu gehören die wenigen verbliebenen nährstoffarmen Seen, in denen äußerlich nur schwer unterscheidbare Arten wie der zu den Wegerichgewächsen zählende Strandling (Bild 1), die Wasserlobelie (Bild 2) und das Brachsenkraut (Bild 3) ein Refugium finden und dort im flachen Wasser dichte Rasen (Bild 4) bilden können. Ein solcher See in unserer Region ist der Garrensee. Er liegt in einer tiefen Senke, die durch einen eiszeitlichen Toteisblock gebildet wurde, der in einem durch einen eiszeitlichen Schmelzwasserfluss ausgegrabenen und ohnehin tiefen Tunneltal liegen geblieben ist. Zuflüsse hat er keine, sondern wird nur von Grundwasser gespeist, das durch den Untergrund gefiltert wird und so klares, nährstoffarmes Seewasser liefert. Dennoch steht auch am Garrensee nicht alles zum Besten. Im Gegenteil, auch der Garrensee wird heutzutage mit überschüssigem Stickstoff verschmutzt, der von den Feldern in die Luft steigt und mit dem Regen in den See fällt; laut Untersuchungen immerhin etwa ein Drittel zusätzlich zu dem Betrag, der von Natur aus mit dem Fallaub der auf den steilen Ufern wachsenden Waldbäume in den See gelangt. Das ist zwar wesentlich weniger, als wenn Bäche ihr überdüngtes Wasser in den See spülen würden, dennoch ist erkennbar, dass sich Fadenalgen - immer die ersten Zeugen von Nährstoffanstiegen im Wasser - über die Zwergpflanzen legen (Bild 6). Dies vermindert nicht nur das ohnehin schache Wachstum der Zwerge, sondern verdrängt zum Beispiel auch Mirkoorganismen wie ein kleines, gestieltes Wimpertierchen (Bild 5), das in wirklich klarem Wasser die Halme und Blättchen besiedeln würde und dann schon mit bloßem Auge wie ein Saum aus winzigen Perlen im Sonnenlicht zu erkennen wären.

Bild 1
Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5
Bild 6

Das ist aber noch nicht alles. Seit Jahren sinkt der Grundwasserspiegel, von dem der See abhängt; vermutlich, weil Wasserentnahme zur Bewässerung der Äcker immer stärker zunimmt.  Badende, die das klare Wasser lockt und sich nicht weiter um die Schäden, die sie anrichten, kümmern, haben große Teile des Ufers und des flachen Seegrundes zertreten und damit gerade die verbliebenen Standorte der Zwergpflanzen vernichtet (Bild 7). So ist die Lobelie längst ausgestorben, und ob das Brachsenkraut noch vorkommt, ist ungewiss. Allein der Strandling hält noch aus.

Das natürliche Schicksal eines solchen Sees ist die allmähliche Umwandlung in einen Moorsee. Das kann lange dauern; beim Garrensee, aber auch beim Krebssee im Hellbachtal (Bild 8) hat die gesamte Zeit seit dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher nicht dazu ausgereicht. Bei anderen Seen jedoch ist dieser Prozess längst vollzogen, und die Namen des Schwarzsees im Hellbachtal und der Schwarzen Kuhle im Süden des Garrensees belegen, dass sie mit zwar nicht mit schwarzem, aber doch mit von Huminsäuren dunkel kaffeebraun gefärbtem Moorwasser gefüllt sind. Wie kommt es dazu?

Bild 7
Bild 8

Die meisten Grundwasserseen haben nicht nur keinen Zufluss, sondern ebensowenig einen Abfluss. Das in das Wasser fallende Laub wird also nicht fortgespült, sondern sinkt auf den Seegrund, wo es unter Freisetzung der Huminsäuren Mudde bildet. Das nun immer saurer werdende Wasser ist etwas für Spezialisten. So findet man jetzt nicht mehr die normalen Planktonalgen des Süßwassers, sondern vorwiegend Jochalgen, die wegen ihres symmetrischen Baus besondere Schönheiten sind (Bild 9).

Bild 9

Solange das Laub noch auf dem Wasser treibt, wird allerdings ein Teil davon vom Wind an’s Ufer getrieben, wo es sich ablagert und natürliche, kleine Komposthaufen bildet. Dort beginnen dann Pflanzen mit ihrem Wachstum, die beinahe tropisch üppig wirken und wegen ihrer Blattform gerne Schweinsohr genannt werden, wegen ihrer weitstreichenden Triebe aber auch Schlangenwurz (Bild 10) oder nach ihrem wissenschaftlichen Namen Sumpfcalla. Sie gehört in die Verwandschaft des Aronstabes, hat aber im Gegensatz zu ihm einen offenen Blütenstand, den ein weißes Hochblatt ziert und ganz selten auch enmal zwei (Bild 11). Die schlangenartige Wurzel hingegen ist hohl und luftgefüllt. Deshalb schwimmt sie auf, sobald die Triebe in’s Wasser hinauswachsen (Bild 12), genauso wie es bei dem ähnlich prächtigen Fieberklee geschieht (Bild 13). Mit der Zeit verschlingen und verweben sich die Triebe zu einer schwimmenden Matte, die so dicht wird, dass sich weitere Pflanzen darauf ansiedeln können, vor allem bestimte Torfmoose (Bild 14), dann aber auch weitere Moorgewächse und sogar Birken (Bild 15). Schaut man in solche Birkenbestände hinein, merkt man nicht unbedingt, dass man sich auf einer schwimmenden Pflanzendecke befindet (Bild 16), einem sogenannten Schwingrasen. Hüpft man jedoch auf ihm herum, beginnen die in keinem festen Untergrund verwurzelten Bäumchen hin- und her zu schwingen – daher der Name. Leider kann man sich diesen Spaß heute kaum noch machen, da alles, was mit Moorseen und Mooren zu tun hat, heute bei uns so extrem gefährdet und selten geworden ist, dass es nicht zu vertreten ist, die vielen Spaziergänger in diese empfindlichen Lebensräume abseits fester Wege hnein gehen zu lassen – der Schaden wäre einfach zu groß (Wären Moorfreunde Autos, hätte gewiss gleich jemand mehr Straßen gefordert – warum fordert eigentich niemand mehr Moore, damit man wieder ungehindert Moore betreten kann?).

Bild 10
Bild 11
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Bile 13
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Bild 16

Die Schwingrasen können dann nach und nach die gesamte Seeoberfläche überdecken, und die auf ihnen wachsenden Torfmoose lagern auf ihnen immer mehr Torf ab, bis der Schwingrasen sich in ein anfangs noch flutendes, schließlich aber den alten Seegrund erreichendes Torflager umwandelt. Aus dem See ist nun ein Moor geworden, wobei manchmal noch ein sogenanntes Moorauge, ein nicht verlandeter Rest des Sees noch von der Entstehungsgeschichte des Moores zeugt (Bild 17).

Bidl 17

An den Rändern der Schwingrasen im Bereich der ehemaligen Seeufer kann aber auch etwas ganz Anderes geschehen: Das Gewicht der aufgekommenen Bäume kann den Schwingrasen unter Wasser drücken. Nun können die Bäume mit ihren Wurzeln den noch flachen Seegrund erreichen und größer werden als die eher kleinwüchsig bleibenden Artgenossen weiter draussen. Es entwickelt sich ein richtiger Bruchwald aus Birken und meist dann auch Erlen. In solchen sauerbödigen Bruchwäldern wächst eine ganz andere Begleitflora als in den normalerweise kalkreicheren Erlenbrüchen anderswo. Zum Einen findet man hier weiterhin Fieberklee und Schlangenwurz (Bild 18). Vor allem finden sich in den Schlenken zwischen den Bäumen eine Wasserpflanze mit fiedrigen Blättern, denen sie den Namen Wasserfeder verdankt (Bild 19). Sie kann an geeigneten Orten großflächige Bestände entwickeln (Bild 20). Jetzt im Frühsommer schweben ihre zarten Blütenstände über dem Wasser mit weißen, rosa getönten Blütchen (Bild 21). Man sieht ihr kaum an, dass sie im Prinzip eine im Wasser lebende Primel ist. Im Grunde ist das aber auch nicht so wichtig. Ihrem Zauber kann man sich kaum entziehen, egal, wo sie botanisch hingehört.
Dr. Heinz Klöser

Bild 18
Bild 19
Bild 20
Bild 21
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/juni_klares_wasser/