BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Juli – Alte Gemäuer

Der Himmel ist blau, die Luft ist warm, doch früher oder später macht ein Gewitter dem ein kühles Ende. Wann es so weit ist, zeigen uns die Schwalben an. Fliegen sie hoch in der Luft, bleibt uns das Sommerwetter noch erhalten, fliegen sie jedoch in Augenhöhe oder noch tiefer, dann kann man sich auf einen Wetterwechsel einstellen, noch bevor die ersten Wolken aufgezogen sind. Woher wissen die Schwalben das? Nun, sie wissen es eigentlich gar nicht, sondern sie jagen lediglich ihre Beute, kleine Insekten, und die reagieren empfindlich auf wechselnde Luftdrücke, so dass sie – je nachdem, ob gerade Hochdruck oder Tiefdruck herrscht – unterschiedliche Flughöhen einnehmen, denen die Schwalben notwendigerweise folgen müssen. Gleichwohl danken wir es lieber den Schwalben, dass sie unsere Wettervorsagen korrigieren. Schwalben sind selten geworden, und das trotz der Wertschätzung, die sie genießen, und der Nähe zu uns, die sie keineswegs scheuen.

Ganz im Gegenteil. In der Naturlandschaft der norddeutschen Tiefebene dürften Schwalben nur selten geeignete Brutplätze gefunden haben. Mehlschwalben (Bild 1), die fast geschlossene, kugelige Nester aus Speichel und Schlamm zusammenkitten, dürften dazu nur an wenigen Klippen und Kliffs, wie man sie an der Ostseeküste findet (Bild 2: Kreideklippen auf Rügen), Gelegenheit gehabt haben. Von dort haben ihnen weite Flugstrecken zu geeigneten Jagdrevieren bevor gestanden. Da ist es doch eine erhebliche Erleichterung, als plötzlich überall Häuser in der Landschaft verteilt wurden, unter der Dachträufe man die Nester hängen konnte.

Bild 1
Bild 2

Die im Vergleich zur etwas rundlicheren Mehlschwalbe sehr schlanke Rauchschwalbe (Bild 3) dürfte wohl in unserer Naturlandschaft überhaupt nicht vorgekommen sein, denn ihre Nester sind offene, flache Schüsseln, die wesentlich geschütztere Brutplätze erforderten. Die wird sie wohl nur in Höhlen und Grotten gefunden haben, und die haben wir hier nicht (wenn wir mal vom Segeberger Kalkberg absehen, der den Fledermäusen gehört). Wohl aber konnte sie in hallenartige Ställe und Scheunen einziehen. Dort gab es alles, was sie brauchte: Ungepflasterte Hofplätze, von denen sie Schlamm für ihre Nester holen konnte, Insekten als Nahrung, die gerade in den Viehstellen hohe Dichten erreichten, und dem Wettergeschehen entrückte, sichere Brutplätze, hoch über den Köpfen der Menschen und ihres Viehs, die womöglich stören könnten.

Bild 3

Heutzutage sind die Hofplätze betoniert und das Vieh steht meist auf Gitterrosten, so dass es keinen fliegenreichen Mist mehr gibt. Was Wunder, dass es den Schwalben nicht mehr gefällt. In gleicher Weise haben die Schwalben schon längst die Städte verlassen, die im Mittelalter ebenfalls Schlamm und Fliegen zu bieten hatten. Deswegen waren die damaligen Städte allerdings auch Horte schauriger Seuchen, und es ist nur verständlich, dass man das nicht so belassen hat.

Dennoch kreist auch heute noch ein schwalbenartiger Vogel über den Städten. Allerdings ist er ganz schwarz und hat nicht den weißen Bauch der Schwalben. Mit ihnen ist er sowieso nicht näher verwandt und ist nicht einmal ein Singvogel wie die Schwalben, sondern bildet einen eigenen Verwandtschaftskreis: der aus den Gebirgsschluchten des Südens stammende Mauersegler (Bild 4). Ihm reichen kleinere Lücken im Mauerwerk, um einen Nistplatz zu finden, und da er in Höhlungen geht, braucht er auch keinen Schlamm, um sich daraus einen eigenen Balkon zu bauen. Ansonsten fängt er kleine Insekten in der Luft, und dabei erreicht er anscheinend die höchsten Geschwindigkeiten, die ein fliegender Vogel erreichen kann, angeblich mehr als 200km/h. Damit hat er auch den vorherigen Rekordhalter, den Wanderfalken, überholt. Wie man das nachgemessen hat, ist mir allerdings auch nicht klar.

Bild 4

Wanderfalken wiederum kommen nur selten an die Häuser, aber ein kleinerer Verwandter, der Turmfalke (Bild 5), lässt sich nicht lange bitten, wenn er ausreichend große Simse oder Absätze findet. Besonders gern kommt er daher in die Kirchtürme, die immer große Öffnungen wegen des Glockenklangs haben. Weniger beliebt ist an solchen Strukturen die Felsentaube (Bild 6), die – wie ihr Name schon andeutet – auf Felswänden der Küsten Westeuropas und des Mittelmeeres zu Hause ist und in trockeneren Gegenden auch weiter ins Landesinnere geht. Auch sie hat die Häuser als Ersatzfelsen entdeckt und lebt hier in großen Kolonien, wenn man sie lässt. Meistens lässt man sie nicht, da in großen Vogelkolonien auch immer große Mengen Kot anfallen, die dann an der Hauswand kleben. Die Felsentauben sind die Stammform der Brief- und Haustauben, die immer mal wieder verwildert sind. Dementsprechend sind die hier lebenden Felsentauben auch nicht die Wildform, haben aber nach mehreren freilebenden Generationen längst wieder ein Aussehen angenommen, das dem ursprünglichen Aussehen wieder weitgehend entspricht.

Bild 5
Bild 6

Nun bieten Mauern nicht nur Vögeln einen Lebensraum als Ersatzfelsen, sondern auch ein paar spezialisierte Pflanzen kann man hier finden, wie das hübsche Zymbelkraut (Bild 7) und zwei Streifenfarne, den Schwarzstieligen Streifenfarn (Bild 8) und die Mauerraute (Bild 9). Sie stammen allesamt aus den Kalkgebirgen des Südens, wo sie in Felsspalten von Schluchten zu Hause sind. In unseren Straßenschluchten finden sie ähnliche Wuchsbedingungen in unverputztem Mauerwerk, dessen Steine mit Kalkmörtel zusammengefügt sind. Ist der Mörtel noch frisch, ist der Kalkgehalt auch diesen Pflanzen zuviel. Es dauert etwa 15 Jahre, bis die Alterung des Mauerwerks den Kalkgehalt der Mauerfugen soweit reduziert hat, daß sich die Pflanzen in dem bröckelig gewordenen Mörtel ansiedeln können.

Bild 7
Bild 8
Bild 9

Immerhin kann man das Zymbelkraut an den Backsteinmauern in der Lübecker Altstadt finden, und die beiden Streifenfarne tauchen immer wieder mal an verstreuten Orten auf. Der wohl berühmteste Standort der Mauerraute im flachen Norden ist übrigens Schloss Kronborg bei Kopenhagen: Dort wächst sie in den Mauern der Befestigungswerke. Dies ist eines der Hinweise, die zu Vermutungen geführt haben, dass der alte Shakespeare seinerzeit einmal in Dänemark gewesen müsste, da er seinem Hamlet die alte dänische Bezeichnung für die Mauerraute –„rude“ – in den Mund gelegt hat, die er ohne einen Besuch dort genauso wenig wie andere Details gewusst haben könnte.

Wie dem auch sei, auch ohne Königsmord und Verrat sind die Bewohner unseres Mauerwerks unter Druck. Leider nehmen viele Zeitgenossen das Auftauchen solcher Pflanzen als Anzeichen, dass die Mauer saniert werden müsse und verputzen entweder gleich die ganze Wand oder verschmieren zumindest die Fugen neu, so dass die ohnehin bei uns nie häufig gewesenen Pflanzen gleich wieder verschwinden. Dabei stürzt nicht gleich das Haus ein, wenn der Mörtel etwas älter ist, und mit etwas Gelassenheit könnte man ein bisschen ungewöhnliche Natur ohne weiteres am eigenen Haus zulassen. Muss wirklich renoviert werden, könnte man ja auch einmal in Etappen von mehreren Jahren vorgehen, um diesen seltsamen Pflanzen eine Bleibe zu ermöglichen. Immerhin war unser heutiger Hang zur Sterilität nicht immer so ausgeprägt. Früher glaubte man einmal, es schütze vor Blitzschlag, wenn man sich eine Hauswurz (Bild 10) auf’s Dach pflanze. Das hat wohl oft genug nicht geklappt, denn wir betrachten das heute als Aberglaube. Gleichwohl würde auch das etwas mehr Frabe und damit mehr Freude in unsere oft tristen Städte bringen. Das wäre doch was – Grau kann schließlich jeder.
Dr. Heinz Klöser

Bild 10
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/juli_alte_gemaeuer/