Januar – Es grünt so grün

Die Tage sind kurz, und schwere Regenwolken machen die Tage noch dunkler (Bild 1). Es ist ganz natürlich, dass man sich jetzt nach warmen, hellen Sommerzeiten sehnt, nach bunten Blumen und grünen Bäumen. Was haben wir stattdessen? Viel Regen, kein Frost, kein Schnee – und auch kein Grün, jedenfalls nicht so richtig viel, wenn man mal von finsteren Fichtenforsten absieht. Immergrüne Gehölze sind bei uns besonders wenig vertreten und beschränken sich auf Stechpalme (Bild 2) und Efeu (Bild 3). Früher auch mal Eiben (Bild 04), aber die sind schon lange im Lauenburgischen ausgestorben, als wild wachsende Bäume jedenfalls. In den Gärten hingegen werden sie häufig angepflanzt, wie auch viele andere immergrüne Busch- und Baumarten, im Bemühen, dem Winter eben doch ein wenig Grün abzutrotzen.

Bild 1
Bild 2
Bild 3
Bild 4

Nun ja, das wird sich ändern. Unsere Winter werden grüner werden. Nicht nur, weil der Schnee ausbleibt und manchmal das Gras schon um Weihnachten herum wieder treibt. In der großen weiten Welt genauso wie zu Hause vor Ort macht sich der von uns selbst verschuldete Klimawandel bemerkbar. Während die Experten sich immer noch nicht sicher sind, was sie nun (außer, dass es wärmer wird) für die Zukunft voraussagen sollen, ist die Natur längst in Bewegung geraten. Einerseits können wir zwar einigermaßen sicher sein, dass uns unsere prächtigen Buchenwälder (Bild 5) auch in wärmeren Zeiten noch erhalten bleiben, andererseits verändert sich ihr Aufbau ganz allmählich. So gewinnt in ihrem Schatten eine ganz bestimmte Pflanzengruppe spürbar an Bedeutung, nämlich die immergrünen Gehölze, von denen wir, wie schon gesagt, ja gar nicht so viele Arten haben.

Bild 5

Was also spielt sich da ab? Zunächst einmal hat man festgestellt, dass sich Efeu und Stechpalme vehement ausbreiten. Die Stechpalme ist hier nicht weit von ihrer ursprünglichen Verbreitungsgrenze entfernt. Schon auf den meisten dänischen Inseln kam sie von Natur aus nicht vor. Inzwischen ist sie allerdings in Mittelnorwegen und in Gotland angekommen, und die Tendenz geht dahin, dass sie weiter wandern wird. Ähnlich sieht es beim Efeu aus, der sich ebenfalls rapide nach Osten und Norden ausbreitet. Nun sind diese beiden Arten ja schon seit Urzeiten in unserer Gegend, so dass man meinen könnte, dass das zwar ganz interessant sei, was sich da in Skandinavien und Osteuropa tut, aber keine Relevanz für uns besitze.

Falsch! Auch bei uns bahnen sich umgreifende Veränderungen an, für die man sogar schon ein schickes neues Fachwort geprägt hat: Die „Laurophyllisation“ (nach Laurophyllum = lateinisch für Lorbeerblatt). Gemeint ist damit, dass unsere Wälder in zunehmendem Maße immergrün werden und Eigenschaften von Lorbeerwäldern annehmen, wie sie im milden ozeanischen Südwesteuropa verbreitet sind. Wenn die Winter milder und regenreicher werden, folgt dem die Vegetation, und immergrüne Arten können jetzt üppiger wachsen und im Bewuchs stärker hervortreten. Auch wenn Efeu und Stechpalme bei uns alteinheimisch sind, kann ihre neue Vitalität die Wälder stark verändern.

So gab es beim Efeu entlang seiner Verbreitungsgrenze eine breite Zone, in der er nur als Bodendecker wächst (Bild 3), aber nicht die Baumstämme emporklettert, weil die Bedingungen dort für ihn nicht mehr optimal sind. Diese Zone verlagert sich mit seiner neuen Ausbreitung entsprechend, und dort, wo sie bisher lag, erklimmt der Efeu in rasantem Tempo die Bäume (Bild 6). Den Bäumen schadet das nicht (Bild 7), auch wenn einige Zeitgenossen das glauben und ihrem Unverstand immer wieder den Efeu kappen. Sehr wohl aber wird das Aussehen der Wälder stark verändert und erinnert plötzlich an tropische Regenwälder (Bild 8 & 9).

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 11

Auch die Stechpalme fällt stärker ins Auge. Wir sind gewohnt, sie als mehr oder weniger flach wachsenden Strauch im Unterwuchs der Wälder zu sehen (Bild 10). Wer sich aber aufmerksam umschaut, wird feststellen, dass die Stechpalme längst überall dort, wo ihr Wachstum nicht durch irgendwelche Eingriffe behindert wird, schöne gerade Stämme ausbildet (Bild 11) und Baumform annimmt (Bild 12). Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass sich die Stechpalmen unter dem Schirm der hohen Waldbäume nach und nach zu einer niedrigeren zweiten immergrünen Baumschicht zusammenschließen werden (Bild 13 & 14).

Bild 10
Bild 12
Bild 13
Bild 14

Damit aber entsteht ein als halbimmergrün klassifizierter, zweischichtiger Waldtyp, wie er für mildere, sogenannte submediterrane Zonen kennzeichnend ist, also einer Zone im Übergang der winterkahlen Wälder Mitteleuropas zu den immergrünen Hartlaubwäldern des Mittelmeerraums.
Ist das nun schlimm? Schlimm ist selbstverständlich, dass wir überhaupt das Klima verändert haben und den Zeitpunkt, wo man dies noch hätte verhindern können, längst hinter uns gelassen haben. Ansonsten ist es aber ganz natürlich, dass sich zu jedem Klima die passende Vegetation einstellt, und wenn wir das Klima verändern, müssen wir auch hinnehmen, dass sich die Vegetation dem anpasst. Schaut man sich unsere Parks und Gärten an, so bekommt man ohnehin den Eindruck, dass dem Gros der Bevölkerung eine halbimmergrüne Vegetation eigentlich lieber wäre.

Tatsächlich ist es fraglich, ob in Schleswig-Holstein, Dänemark, Niedersachsen und Mecklenburg die ursprünglichen Wälder überhaupt rein winterkahl gewesen sind. Es ist durchaus möglich, dass der Charakter rein laubwerfender Wälder in diesen Räumen erst durch die weitgehende Ausrottung der Eibe und die forstliche Unterdrückung von Stechpalme und Efeu in früheren Jahrhunderten hervorgerufen wurde. Dann würde die „Laurophyllisation“ zumindest bei uns nicht einen grundsätzlichen Lebensraumwechsel bedeuten, sondern die Wiederherstellung eines ursprünglichen, uns heute aber nicht mehr erinnerlichen Waldtyps.

Aber so einfach, ach, ist es nicht. Infolge des Klimawandels würden auch immer mehr aus dem Mittelmeerraum nach Norden ausweichende Arten zu uns kommen. Was machen wir dann? Nehmen wir sie als biologische Klimaflüchtlinge bei uns auf? Oder betrachten wir sie als unerwünschte Fremdlinge, die wir bekämpfen – insbesondere, wenn wir ihre Zuwanderung bereits durch unsere Gartenkultur vorweggenommen haben, so dass wir gar nicht mehr erkennen können, wenn eine natürliche Zuwanderung einsetzen würde? Man braucht nur zu den Britischen Inseln hinüber zu schauen, um zu erahnen, was da auf uns zukommt. Dort wird vehement gegen Rhododendron, Steineiche und Lorbeer gekämpft, die gleichzeitig in ihrer südlichen Heimat immer stärker in Bedrängnis geraten und sprichwörtlich Boden verlieren. Kann man tatsächlich als Naturschützer vertreten, ungerührt zuzulassen, dass solche Arten im Süden aussterben, weil wir sie bei uns im Norden nicht haben wollen und ihnen damit eine nördlichere Zuflucht verweigern? Unbequeme Fragen – Fragen, die im Naturschutz bislang kaum die nötige Aufmerksamkeit finden, auf die wir aber bald Antworten finden müssen.

Denn die Anfänge sind längst erkennbar. So finden sich immer wieder wild wachsende Lorbeerkirschen in unseren Wäldern (Bild 15). Bislang sind das alles nur Gartenflüchtlinge, sicher. Was aber, wenn es in ihrer kaukasischen Heimat (Bild 16) eng wird? Die Klimaprognosen lassen erkennen, dass ganz Vorderasien und weite Bereiche des Balkans bei weiterhin ungebremster Klimaerwärmung auf lange Sicht veröden könnten. Müssten wir dann nicht akzeptieren, dass die Lorbeerkirsche Bestandteil unserer Flora und Vegetation wird? Die von uns Naturschützern ungeliebte Lorbeerkirsche, die gleichwohl auch ein Recht auf Erhalt in der Zukunft hat?
Dr. Heinz Klöser

Bild 15
Bild 16


Ihre Spende hilft.

Suche