BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


August – Blühende Riesen

Es ist Sommer, alles blüht und wächst, und manches wächst besser, als uns lieb ist. Zum Beispiel der Riesenbärenklau, auch Herkulesstaude genannt (Bild 1), inzwischen wohl jedem bekannt als eine der großen Problempflanzen schlechthin, die alle anderen und im Zweifelsfall bedrohten Pflanzenarten verdrängt und kürzlich noch im Fernsehen dämonisiert wurde, indem eine Grabesstimme zum Ende eines Films über pflanzliche Einwanderer mit einem Schwenk über einen Herkulesstaudenbestand verkündete: „Hier kann nichts mehr leben“. Ach, wirklich?

Bild 1

Wahr ist, dass der Riesenbärenklau eine beeindruckend große Pflanze mit einer enormen Wuchskraft ist. Ursprünglich stammt sie aus dem Kaukasusgebiet und wurde gelegentlich in Gärten wegen ihrer imposanten Größe kultiviert. Inzwischen hat sie sich jedoch an vielen Stellen unserer Landschaft angesiedelt, und da sie nicht nur stattlich aussieht, sondern bei sensiblen Menschen bedenkliche Hautreizungen hervorrufen kann, ist sie schon seit Längerem in Verruf geraten. Wie konnte es dazu kommen?

Es waren die Imker, die den Riesenbärenklau in unserer Landschaft verbreiteten, denn er hat auch gute Seiten: Er blüht erst relativ spät, und zwar zu einer Zeit, wenn die anderen Blumen bereits abwelken, um in die Samenreifung einzutreten. Damit bietet er vielen Insekten – darunter auch den Honigbienen – eine Nahrungsquelle, wenn sonst nicht mehr viel zu holen ist. Das weite Vorkommen der Pflanze zeigt, wie gut das Experiment der Imker gelungen ist – zum Ärgernis vieler anderer Menschen, die sich nun genötigt sehen, diese Pflanze zu bekämpfen, wo und mit welchen Mitteln auch immer. Aber macht das auch Sinn?

Zunächst ist es so, dass der Riesenbärenklau bislang keineswegs die gesamte Landschaft zugewuchert hat, wie man sich unschwer selbst überzeugen kann. Mitunter bildet er jedoch tatsächlich dichte Bestände, und wenn dies in der Nachbarschaft von Schulen, Kindergärten oder Ähnlichem geschieht, würde ich ihn wegen des von ihm ausgehenden Gesundheitsrisikos dort auch lieber entfernen – aber das ist dann eher ein Problem für die Gesundheitsämter als für den Naturschutz. Naturschutzproblem – und das mag jetzt viele verblüffen – macht der Riesenbärenklau eigentlich nicht. Wenn er sich ausbreitet, dringt er auf nährstoffreiche Standorte vor, die im Wesentlichen eine Domäne von Brennnessel (Bild 2) und Giersch (Bild 3) sind, Pflanzenarten, von denen man schwerlich behaupten kann, dass sie in irgendeiner Weise bedroht seien.

Bild 2
Bild3
Bild 4
Bild 5

Im Gegenteil: Wenn es irgendwo bedrohte Pflanzenarten gegeben haben sollte, wo jetzt Riesenbärenklau steht, dann haben in aller Wahrscheinlichkeit Giersch und Brennnessel diese längst verdrängt gehabt, bevor der Riesenbärenklau eingewandert ist. Wie der Riesenbärenklau reagieren nämlich auch die einheimischen nährstoffhungrigen Arten auf eine gravierende Veränderung unserer Landschaft und breiten sich gleichermaßen vehement aus: Die Nitrifizierung, das heißt, die Übersättigung unserer Landschaft mit Stickstoff aus Industrie- und Autoabgasen, hauptsächlich aber aus landwirtschaftlichen Quellen wie Gülle und Ähnlichem. Es sind diese überschüssigen Nährstoffe, die Giersch, Brennnessel und Riesenbärenklau zur Vorherrschaft bringen. Möchte man diese Pflanzen zurückdrängen, hilft Ausreißen nicht viel, sondern man muss die Landschaft von der Stickstoffflut befreien. Riesenbärenklau und Co. verlören ihre Wuchskraft dann schnell. Aber wer weist schon Landwirtschaft und Industrie in die Schranken?

Diesem Umstand verdanken wir auch andere Riesenstauden, die allesamt für ihr gewaltiges Wachstum eine entsprechend üppige Nährstoffversorgung benötigen; zum Beispiel den Topinambur (Bild 4). Er gehört zu den Sonnenblumen und bildet eine ausdauernde Knolle mit vielen Ausläufern aus, die ihn zu einer Wucherpflanze machen. Wie alle Sonnenblumen, kommt er aus Nordamerika, wo seine Knollen den Indianern als Grundnahrungsmittel dienten. In Deutschland wurde er eher als Wildfutterpflanze von den Jägern angebaut, bis er in der Hungerszeit der Nachkriegsjahre auch für die menschliche Ernährung herangezogen wurde. In den Wirtschaftswunderzeiten hat man davon wieder abgelassen, aber im Rahmen der naturnäheren, alternativen Lebensweise von heute hat er erneut seinen Platz als wohlschmeckendes und gesundes Nahrungsmittel gefunden. Und doch kann man schon nachdenklich werden, wenn längere Partien an den Feldrainen von Topinambur eingenommen werden, die zudem auch bis zu vier Meter hoch werden können (Bild 5).

Aber seien wir mal ehrlich: Die neue, durchindustrialisierte und überdüngte Landschaft wirkt endgültig auf weite Flächen langweilig und armseelig, ist überdies mit fabrikartigen Bauten wie Biogaskonvertern, Legebatterien und Mastställen durchsetzt. Die um sich greifende Ausbreitung von konkurrenzstarken, von hoher Nährstoffzufuhr abhängigen Riesenstauden wie Topinambur und Riesenbärenklau ist nicht viel Anderes als die Anpassung der Vegetation an die neuen Verhältnisse. Die Bekämpfung der Riesenstauden würde uns nicht die traditionellen Ackerblumen wie Kornblumen und Mohn zurückbringen. Tatsächlich wäre die moderne Ackerbaulandschaft ohne die Riesen über weite Strecken eine Mais-Einöde ohne jegliche Begleitflora. Und wer wollte das schon?

Eine weitere Art, die ebenfalls von hohen Nährstoffmengen abhängt und sich in unserer Landschaft ausgebreitet hat, ist das Drüsige Springkraut (Bild 6). Es ist eigentlich nicht größer als einheimische Hochstauden wie etwa Wegröschen auch, aber es fällt sehr stark in’s Auge, wenn es in großen Beständen seine prächtigen Blüten öffnet (Bild 7). Deswegen hatte man es auch einst aus seiner indischen Heimat nach Europa geholt, wo es als „Orchidee des kleinen Mannes“ bald eine Karriere als Sommerblume in den Gärten antrat. Inzwischen sagt man ihm aber nach, es würde ganze Flussauen zuwuchern und die angestammte Vegetation verdrängen.

Bild 6
Bild 7

Die schlichte Wahrheit ist: Das stimmt so nicht! Wo das Drüsige Springkraut wächst, bildet es in der Tat größere Bestände, aber wirklich landschaftsprägend sind die eigentlich nicht, sondern treten eher stellenweise auf. Hinzu kommt, dass das Drüsige Springkaut einjährig ist und jedes Jahr erneut offene Stellen finden muss, wo es überhaupt aufkeimen kann. Ausdauernde Pflanzen, die unsere Vegetation ja beherrschen, kann es auf diese Weise nun wirklich nicht verdrängen. Wenn es allerdings einen Wuchsort findet, wächst es zu einer stattlichen Pflanze heran, so dass ein oberflächlicher Eindruck entstehen kann, dass an seinen Wuchsorten nichts anderes mehr vorkommt. Schaut man jedoch genauer hin, wird man unter dem Schirm der Springkräuter die angestammte ausdauernde Vegetation finden (Bild 8), die im Herbst nach Abwelken der Springkräuter unversehrt wieder zum Vorschein kommt.

Bild 8

Ein weiteres Springkraut ist das Kleinblütige (Bild 9), das aus den Gebirgen Zentralasiens kommt. Deutlich kleiner gebaut, kann es tatsächlich flächendeckende Bestände in feuchten, schattigen Wäldern bilden (Bild 10). Es gehört zu den ganz wenigen Neuzuwanderen, die sich in natürlichen Pflanzengemeinschaften einbürgern konnte und nicht wie das Gros an von menschlichen Aktivitäten und Störungen geprägten Standorten. Das ist ihm allerdings nur deshalb gelungen, weil die ökologische Nische, die es in unseren Wäldern einnimmt, nicht besetzt war. Wenn Buschwindröschen und andere Vorfrühlingsblüher ihr Wachstum abgeschlossen haben, bliebe der Waldboden im Sommer weitgehend frei von krautigem Bewuchs. Sommerblumen sind in unseren Wäldern rar, und in genau diese Nische ist das Kleinblütige Springkraut – nun ja - gesprungen. Trotz der Allgegenwart dieser Art kann man auch hier feststellen, dass nichts verdrängt worden ist.

Bild 9
Bild 10

Übrigens gibt es durchaus auch eine einheimische Springkrautart, das Großblütige (Bild 11), das in noch feuchteren Auwäldern vorkommt. Ebenso – und damit schließt sich für heute der Kreis – warten auch die Bärenklaue mit einer einheimischen Art auf (Bild 12), die sogar ihrerseits große Bestände bilden kann (Bild 13). Leider kommt es immer wieder vor, dass gutmeinende, aber nicht ausreichend ausgebildete Zeitgenossen sich an den einheimischen Verwandten vergreifen im Glauben, die vermeintlich lästigen Exoten zu bekämpfen. Auch dies ein ernst zu nehmendes Problem, wie generell Bekämpfungsmaßnahmen immer auch unerwünschte Nebeneffekte haben.

Bild 11
Bild 12
Bild 13

Sollte man das also bleiben lassen? Kann man allgemein Entwarnung geben? So einfach ist das nun leider auch wieder nicht. Ohne Zweifel gibt es Pflanzenarten, die ernst zu nehmende Probleme bereiten. Die heute vorgestellten Arten sind es jedoch nicht. Sie sind eher Symptome für grundlegendere Missstände in unserer Landschaft, die es zu bekämpfen gilt. Wenn man die Ursachen, die den Riesen ihr mächtiges Wachstum ermöglichen, eindämmt, ziehen sich die betreffenden Arten schnell von selbst auf wenige Reststandorte zurück, wo sie niemanden stören. Tut man das jedoch nicht, hilft Ausreißen und Abmähen auch nicht viel.
Dr. Heinz Klöser

Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2015/august_bluehende_riesen/