April – In einem Bächlein helle

In einem Bächlein helle,
da schoss in froher Eil
die launische Forelle
vorüber wie ein Pfeil.

…und so weiter – Bäche sind etwas für Romantiker (in dem Fall Christian Friedrich Daniel Schubart & Franz Schubert); für den modernen, profitorientierten Betriebswirt sind sie ineffiziente Entwässerungskanäle, und deshalb wurden sie über Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte zu geraden Gräben optimiert, mit befestigten Rändern versehen und hernach regelmäßig mit Baggern oder Grabenfräsen ausgehoben. Doch ein paar Bäche haben bei uns die Wirren der modernen Zeiten relativ unbeschadet überstanden und folgen noch ihren natürlich gewundenen Verläufen (Bild 1). Dabei graben sie sich mitunter auch tiefer in die lockeren Moränenböden ein, die unsere hügelige Landschaft prägen, so dass sich an den Ufern der Bäche auch ungewohnt steile Hänge ausbilden können (Bild 2), denn das fließende Wasser nagt langsam, aber stetig die Prallhänge an den Außenseiten der Bachschlingen an, während sich im Inneren der Bögen, an den Gleithängen weiter aufwärts abgetragenes Material wieder absetzt (Bild 1).

Bild 1
Bild 2

An den Prallhängen bilden sich immer wieder unterspülte Überhänge (Bild 3), Stellen, die die Fische lieben, die darunter Schutz vor Eisvögeln und Reihern finden. Und so stehen Forellen (Bild 4) und Äschen (Bild 5) oft nicht so sehr im hellen Bach, sondern im dunklen Schatten der Ufer, allerdings nur dort, wo das Wasser noch sauber, sauerstoffreich und kühl ist. Dabei schwelt ein alter Streit um die Frage, ob diese beiden Fischarten bei uns im Flachland überhaupt von Natur aus vorkommen oder doch eher den Anglern ihre hiesigen Bestände verdanken. Sicher ist es besser, in diesem Zwist keine Partei zu ergreifen. Dem Fischotter ist es sowieso egal. Ihn interessiert nur, wo die Fische stehen, und das weiß er genau; und so patroulliert er die Überhänge ab und holt sich seinen Teil (Bild 6).

Bild 3
Bild 4
Bild 5
Bild 6

Auch ohne diese gelegentlichen Überfälle bergen die Überhänge für die Fische das Risiko, plötzlich verschüttet zu werden. Die Unterspülungen graben sich nach und nach so tief ein, dass irgendwann die nächste Partie des Überhanges nachgibt und einbricht. Dadurch geraten dann auch die auf der Hangkante wachsenden Bäume aus der Balance, so dass sie umkippen und in den Bach stürzen können (Bild 7). Oder sie gleiten aufrecht auf ihren Wurzeltellern stehend den Hang hinab, was gar nicht so selten vorkommt. An der Bille war ich zufällig einmal Zeuge für einen derartigen Vorgang, der sich in geradezu dramatischer Theatralik abspielte: Zwei Buchen, die eine gesund und vital, die andere bereits abgestorben, rutschten zum Bach hinunter (Bild 8), wobei der tote Stamm brach und die obere Hälfte auf den Hang zurück fiel (Bild 9). Dabei fiel er auch auf einen anderen Stamm, der bereits eine Weile am Boden gelegen hatte und nun mit einem Ende in die neue Lücke im Hang hineinragte. Durch die auf ihn stürzende Last wurde dieser Stamm nun auch ausgehebelt (Bild 10) und sackte dann ebenfalls in die Tiefe. Manchmal ist eben richtig was los im Wald.

Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10

Wenn solch ein Erdrutsch mal wieder im Bach gelandet ist, trägt das Wasser die Erde fort, was natürlich bei Ton und Sand leicht geht, bei Schotter und Kies nicht mehr ganz so gut und bei großen Steinen gar nicht. Das hat bei unseren wild durchmischten Moränenböden zur Folge, dass die darin enthaltenen Findlinge im Bachtal liegen bleiben, während der Rest weg gespült wird, so dass sich mit der Zeit regelrechte Pflasterstraßen aus groben Blöcken bilden können (Bild 11). Oft sind die Bäche sogar danach benannt, und Namen wie Steinau, Steinerne Rinne, Steinbach, Blockbach oder ähnliche sind leicht auf nordostdeutschen Landkarten auszumachen.

Bild 11

Diese Steinpflaster kleiden auch die Bachbetten aus, auch wenn man das oft nur an den Strudeln im fießenden Wasser bemerkt (Bild 12), und dort sorgen sie für eine abwechslungsreiche Umwelt mit Wirbelbildungen, die zu Auskolkungen führen, in denen nur grober Kies liegen bleibt bis hin zu Strömungsschattenbereichen mit so ruhigem Wasser, dass sich dort Sand und sogar Schlamm ablagern können. Den unterschiedlichen Bedingungen entsprechen auch unterschiedliche Bewohner, die sich daran angepasst haben. So sind die Bäche ein Eldorado für Köcherfliegen oder, besser gesagt, für deren Larven, die sich in die namengebenden Köcher hüllen, mit denen sie sich gegen allerlei Ungemach zu schützen versuchen. Dabei stellen die Arten, die in Bereichen geringerer Strömung, wo sich Matten aus Quellmoos entwickeln können (Bild 13) oder in ruhigen Buchten, in denen sich Falllaub ansammeln kann, leben, Köcher aus Stücken von Halmen und Stöckchen her (Bild 14), während die Arten, die in stärkerer Strömung auf und zwischen Steinen leben, ihre Köcher aus Sandkörnern zusammenkleben (Bild 15). Doch was immer sie auch unternehmen, vor der Wasseramsel (Bild 16) versagt dieser Schutz. Für sie stellen Köcherfliegenlarven die Hauptnahrungsquelle dar. Gut für die Köcherfliegen, dass die Wasseramsel nach ihrem Winterurlaub jetzt wieder nach Skandinavien oder in die süddeutschen Mittelgebirge aufbricht. Ansonsten ist die Wasseramsel als der einzige Singvogel, der im Wasser zu tauchen vermag, doch zu klein, um selbst kleineren Fischen gefährlich zu werden.

Bild 12
Bild 13
Bild 14
Bild 15
Bild 16

Und kleine Fische lieben das Reich der umströmten Steinblöcke ebenfalls. Wie bei den Köcherfliegen, haben auch bei den Fischen die einzelnen Arten unterschiedliche Vorlieben und Anpassungen. So hält sich die räuberische Groppe (Bild 17) gerne auf den Steinen auf. Ihr breiter, flacher Kopf, der stets bachaufwärts gehalten wird, ist so gebaut, dass die Strömung das Tier gegen die Oberfläche des Steines presst. Kommt dann etwas Fressbares herangespült, braucht die Groppe nur noch ihr breites Maul aufreißen.

Bild 17

Schlammpeitzger (Bild 18) und Steinbeißer (Bild 19) hingegen haben wurm- oder schlangenförmige Gestalt, mit der sie gut im Boden nach Beute suchen können. Sie haben ein nach unten gerichtetes, sogenanntes unterständiges Maul mit tentakelartigen Barteln, die ihnen auch dann das Erspüren von Futter ermöglichen, wenn sie durch ihre Wühlerei zuviel Mudde aufgewirbelt haben. Ihre langgestreckte Gestalt hat aber auch den Nachteil, dass sie schlechte Schwimmer sind. Sie halten sich dicht am Boden, der Schlammpeitzger eher in ruhigen Buchten – die Namen lassen es schon erahnen – und der Steinbeißer lieber im Strömungsschatten großer Steine.

Bild 18
Bild 19

Auch der Gründling (Bild 20) ist ein bodennah lebender Fisch mit unterständigem, bartelbewehrten Maul, der ganz ähnliches Futter sucht wie Schlammpeitzger und Steinbeißer, dies aber eher in offeneren Bereichen tut, da er mit seiner torpedoförmigen Körperform ein weitaus besserer Schwimmer ist.

Bild 20

In dieser Hinsicht unübertroffen ist jedoch die Elritze (Bild 21), die ein Schwarmfisch des schnell fließenden offenen Wassers ist. Dementsprechend sieht sie auch eher wie eine zwergige Forelle aus, gehört jedoch wie der Gründling in die Karpfenverwandschaft. Ihre Bindung an den Schwarm ist so stark, dass sie dem Gruppensex fröhnt. Wenn um sie herum nicht ausreichend Gewimmel ist, kommt sie nicht in Paarungsstimmung, so dass Schwärme, die durch irgendwelche Störungen über ein gewisses Maß hinaus dezimiert wurden, unweigerlich aussterben.

Bild 21

Ganz anders hingegen der Stichling, der eigentlich auch ein Schwarmfisch ist. Zur Paarungszeit jedoch besetzen die nun mit einer scharlachroten Unterseite geschmückten Männchen (Bild 22) Reviere und vertreiben vehement jedes andere Männchen und Vertreter anderer Fischarten gleich mit. Kommt aber ein silbriges Weibchen mit eierprallem Bauch vorbei (Bild 23), umtanzt er sie solange, bis sie sich in ein von ihm gebautes Nest treiben lässt, wo die Paarung stattfindet. Danach verjagt er sie auch. Um den Nachwuchs kümmert er sich dann alleine.

Bild 22
Bild 23

Überhaupt nur noch für die Fortpflanzung leben die Bachneunaugen (Bild 24). Die erwachsenen Tiere nehmen im Gegensatz zu ihren großen, wandernden Verwandten, Fluss- und Meerneunaugen, die mit ihren Saugmäulern größere Fische anfallen, keinerlei Nahrung auf und sind dementsprechend harmlos. Die Saugscheibe des Bachneunauges dient nur noch dem Festhalten an Steinen, wenn die Strömung zu stark wird. Bachneunaugen wandern auch nicht, sondern leben mehrere Jahre als Larven im Boden der Bachabschnitte, wo sie schließlich auch laichen. Damit hat sich ihr Leben vollendet, und sie sterben an Auszehrung. Ansonsten sind die gerne als Fische angesehenen Neunaugen keine. Trotz ihrer fischähnlichen Gestalt haben sie keinen Knochen, keinen Schädel, keine Mundwerkzeuge, keine Wirbelsäule. Deshalb können sie nicht zu den Wirbeltieren gehören und damit auch nicht zu den Fischen. Sie bilden daher eine primitive Klasse für sich alleine. Alles was sie in unserer weiteren Verwandschaft bleiben lässt, ist ein Knorpelstab, der ihre Form stabilisiert, die Chorda. Aus dieser Chorda sind im Laufe der Evolution unsere Bandscheiben geworden.

Bild 24

Eine solche innere Stütze braucht der Flusskrebs (Bild 25) wiederum nicht, denn er hat einen harten Außenpanzer, der ihn in Form hält. Den allerdings muss er regelmäßig wechseln, wenn er wächst und ihm seine Rüstung zu eng wird. Dann ist er für kurze Zeit verwundbar und fällt dann nicht selten seines gefräßigen Gleichen zum Opfer. Denn der Flusskrebs ist ein Gierschlund, der alles überwältigt, was ihm in die Quere kommt: kleine Fische und Molche, Wasserinsekten, Würmer, Muscheln, aber auch Aas, Pflanzen, Algen und sogar Falllaub und modriges Holz, letztere wohl eher wegen der Pilzflora auf dem verottenden Material. Seine robusten Essgewohnheiten haben ihn allerdings nicht davor bewahrt, selber zum Mahl für gefrässige Mäuler zu werden, unsere nämlich. Er wurde in weiten Gebieten zugrunde gefischt, und die allgegenwärtige Gewässerverschmutzung tat ein Übriges. Also setzte man flugs amerikanische Krebsarten als Ersatz aus, die als vermehrungsfreudiger und widerstandsfähiger galten. Leider schleppte man damit die Krebspest ein, eine Krankheit, die den europäischen Arten den Rest geben, während ihre ursprünglichen Trägerarten aus Amerika zwar auch erkranken, aber überleben. Und nun sind die amerikanischen Krebse die Bösen. Die sind aber nicht freiwillig hierher gekommen, um sich übel beleumunden zu lassen. Das wirklich Böse in diesem Fall – wie auch in vielen anderen solcher Fälle – ist hingegen nichts anderes als der eigene menschliche Unverstand.
Dr. Heinz Klöser

Bild 25


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