September – die Rotbuche

Jedes Jahr dasselbe Schauspiel: Während wir uns noch Gedanken über warme Sommertage machen, bereitet sich die Natur auf den kommenden Winter vor. Die Wälder wechseln ihre Farbe vom sommerlichen Grün zu einem mehr oder minder leuchtenden Gelb (Bild 1). Die intensivste Laubfärbung dürfen wir dabei wohl von der Rotbuche erwarten (Bild 2). Die Rotbuche ist ein besonderer Baum unter unseren Holzarten. Nicht nur, dass sie unsere Wälder in einem Maße dominiert, dass manchmal kaum eine andere Baumart zu finden ist (Bild 3) – sie hat auch eine besondere Geschichte, die sie von den anderen Arten unterscheidet.

Bild 1
Bild 2
Bild 3

Zunächst einmal, wieso überhaupt ROTbuche? Der Name kommt daher, dass die Rotbuche ein rötlich, eher rosa getöntes Holz besitzt, das bei Tischlern und Schnitzern sehr beliebt ist. Dadurch unterscheidet sie sich von der Weißbuche, die der Rotbuche in Vielem sehr ähnlich ist. Deren Holz ist – man ahnt es schon – weiß. Nun wollen wir ja nicht gleich einen Baum umhauen, um die Arten unterscheiden zu können, und so ist es gut, dass es auch noch andere Merkmale gibt. So hat die Rotbuche einen sehr geraden Stamm mit einer glatten, silbergrauen Rinde (Bild 4), während der Stamm der Weißbuche oft gewunden oder wellig aussieht, mit einer Rinde, auf der ein verschlungenes Netzmuster erkennbar ist (Bild 5).

Bild 4
Bild 5

Rotbuchenblätter sind sehr glatt und sehen ein wenig ledrig aus, und ihre nussartigen Früchte, die Bucheckern,  sind kantig und haben eine stachelige, harte Außenhülle (Bild 6). Die Blätter der Weißbuche hingegen sind papierartig dünn, dafür stark gerippt, und außerdem haben sie einen stark gezähnten Rand; ihre Früchte sind zwar ebenfalls Nüsschen, aber die Fruchthülle ist offen und zu einem dreiflügeligen Schwebeapparat entwickelt (Bild 7). Weiterhin behalten Rotbuchen gerne ihr welkes Laub im Winter am Zweig (Bild 8). Das kommt auch bei der Weißbuche immer wieder mal vor (Bild 9), aber dass das winterliche Waldbild davon geprägt wird, schafft nur die Rotbuche (Bild 10 & 11).

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10
Bild 11

Wird es dann wieder Frühling, blüht die Rotbuche sehr früh, zusammen mit dem sich gerade entfaltenden Laub. Das ist auch sinnvoll, denn Rotbuchenblüten werden vom Wind bestäubt; und wenn der nicht durch voll entwickeltes Laub behindert wird, finden die Pollen der männlichen Kätzchen (Bild 12) leichter zu den Stempeln der weiblichen (Bild 13). Zu dieser Zeit wartet die Rotbuche mit einem besonderen Trick auf: Sie treibt sehr ungleichmäßig aus, so dass ein Teil ihrer Baumkronen frühzeitig grün werden, während andere Artgenossen noch in winterlicher Ruhe verharren (Bild 14). Der Sinn, der dem innewohnt, ist, dass die Rotbuche damit gegen alle Kapriolen des Frühjahres gewappnet ist: Zögert sich das Frühjahr hinaus, werden die frühen Blätter durch Spätfroste zerstört, doch die Spätaustreiber haben ihr Laub noch sicher in den Knospen; weicht der Winter jedoch schnell, gewinnen die Frühtreiber einen wichtigen Konkurrenzvorteil gegenüber den anderen Baumarten, die auch gerade ihr Laub entfalten. Auf diese Weise vermag die Rotbuche stets ihre dominante Stellung im Wald zu behaupten, egal wie die äußeren Bedingungen gerade sind. Auch sonst ist die Rotbuche ganz darauf spezialisiert, der Hauptbaum im Wald zu sein. Als eine der ganz wenigen Baumarten können Rotbuchen auch im tiefsten Waldschatten keimen (Bild 15), und dementsprechend fallen die Bucheckern auch einfach aus den Samenhüllen heraus nach unten – die Rotbuche hat es nicht nötig, neue Wuchsorte zu finden, sie ist ja schon dort, wo es ihr am besten geht. Die Weißbuche hingegen ist gut beraten, ihre geflügelten Früchte auf die Reise zu schicken, auf der Suche nach Orten mit geringerer Konkurrenz.

Bild 12
Bild13
Bild 14
Bild 15

Nimmt man nun noch hinzu, dass die Rotbuche auch sonst erstaunlich anpassungsfähig ist und selbst an Sturmecken in dann sehr malerisch knorrigen Buschbeständen zu überdauern vermag (Bild 16), entsteht das Bild eines Superbaumes, der durch nichts in die Schranken zu weisen ist. Umso mehr verwundert es, dass die Rotbuche nicht gleich nach der Eiszeit ganz Mitteleuropa eingenommen hat, sondern erst verhältnismäßig spät hier erschienen ist. In der letzten Warmzeit, der Eem-Zeit, gab es überhaupt keine Rotbuchen bei uns, obwohl alle anderen Baumarten ihren Weg zu uns zurück gefunden hatte. In unserer jetztigen Warmzeit begann die Wiederbewaldung zunächst mit Birke und Kiefer, danach Hasel, Eiche, Ulme, Linde und Hainbuche (unter anderem), aber keine Rotbuche. Die kam erst bei uns an, als der Mensch bereits seit tausend Jahren Ackerbau und Viehzucht in unserer Region betrieb. Als sie ihre heutige Verbreitungsgrenze im Norden in Mittelschweden erreichte, wurde gerade Jesus Christus geboren, und als sie ihre westliche Verbreitungsgrenze in Nordspanien erreichte, regierte bei uns Otto der Große. Man stelle sich vor, die Rotbuche hätte sich noch tausend Jahre länger Zeit gelassen. Dann würden wir die durch und durch als einheimisch angesehene, für Deutschland so typische Rotbuche heute als lästigen, invasiven Neophyten einstufen…

Bild 16
Bild 17

Warum aber kam sie erst so spät? Vermutungen, dass es der Rotbuche mit ihren schweren Samen sehr viel schwerer fiel, Land zu gewinnen, darf man getrost ablehnen, denn die Eichen haben noch schwerere Samen, die auch einfach nur herunter fallen, und dennoch waren sie ziemlich schnell im Lande.
Möglicherweise spielt eine Rolle, dass die Rotbuche, dieser Superbaum, sehr wohl auch eine Achillesferse hat: Sie ist extrem gegen Verbiss empfindlich, und gleichzeitig schmeckt sie den Pflanzenfressern gut. Schon die Rothirsche ziehen ihr gerne die Rinde ab (Bild 17), und wo noch Weidevieh Zugang zu Wäldern hat, etwa in südlichen Mittelgebirgen, kann unter dem Weidedruck des Viehs kaum eine Buche unverkrüppelt heranwachsen (Bild 18). Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass vor dem jagenden Menschen große Tiere wie Wisent (Bild 19) und Auerochse (Bild 20 – in Vertretung: ein Taurus-Rind) einen ähnlich starken Weidedruck aufrecht erhielten wie das spätere Vieh, das in die Waldweide getrieben wurde, kann man sich schon vorstellen, dass es der Rotbuche schwer fiel, im norddeutschen Flachland Fuß zu fassen. Und auch den Bibern, die sich erfreulicherweise wieder ausbreiten, schmeckt die Rotbuchenrinde gut. Wo immer Rotbuchen an steileren Seeufern nahe ans Wasser herangehen, schälen die Biber ihnen gerne die Rinde ab (Bild 21). Sie können die alten Rotbuchen zwar nicht fällen, aber mit der Zeit wird der Stamm geringelt, und dann stirbt er schließlich ab. Auch hier muss man sich fragen, ob die Rotbuche in der Nähe solcher Seen überhaupt von Natur aus wachsen konnte.

Bild 18
Bild 19
Bild 20
Bild 21

Die große Zeit der sich so zögerlich ausbreitenden Rotbuche  kam wohl mit der Völkerwanderung. Der überwiegende Teil der menschlichen Bevölkerung, die bis dahin den Wildtierbestand durch Jagd dezimiert hatte, zog in den sonnigen Süden und nahm das im Wald weidende Nutzvieh mit. In den aufgelichteten  und weitgehend von zahmen wie wilden Großtierbeständen verwaisten Restwäldern, konnte die Rotbuche jetzt all ihre Stärken ausspielen und in dem sich wieder schließenden Wald die Schlüsselrolle einnehmen, so dass erstmals die typischen, uns so ans Herz gewachsenen Rotbuchenwälder entstanden. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert ist bei uns die Allmendeweide, und damit auch jegliche Waldweide gar nicht mehr üblich. In den Gegenden, zum Beispiel in den armen Heidegebieten des Nordwestens, wo man noch bis in die Neuzeit freie Weide ausübte, glaubten noch zu Kaisers Zeiten die Förster, dass die Rotbuche dort wegen der Bodenarmut gar nicht wachsen könnte. Ein Irrtum, wie wir heute wissen.

Damit müsste die Rotbuche eigentlich – wenn man dieselben strengen Regeln anlegen wollte wie zum Beispiel für Ackerwildkräuter – als gebietsfremd eingestuft werden: Sie ist ein Einwanderer, der erst nach Einführung der Landwirtschaft zu uns gekommen ist, und ist auch auf vom Menschen gestaltete Lebensräume angewiesen, nämlich auf Forsten mit reduziertem Beweidungsdruck. Ein absurder Gedanke? Wohl nicht, wohl aber gewöhnungsbedürftig. Tut das aber der Schönheit und der Schutzwürdigkeit unserer Buchenwälder Abbruch? Natürlich nicht. Wir schützen ja auch sonst eher Kulturlandschaften wie Heiden, Wiesen, Knicks und ähnliches als ursprüngliche Naturlandschaften. Dann kann es doch auch kaum so wichtig sein, wenn unsere alten Buchenwälder ebenfalls ihre Existenz menschlicher Einflussnahme verdanken. Immerhin lehrt uns aber die Rotbuche, dass gerade auch in der Natur nichts beständiger ist als der Wandel.
Dr. Heinz Klöser



Ihre Spende hilft.

Suche