Oktober – Hirsche

Kennt eigentlich noch jemand den „röhrenden Hirsch am Bergsee“, der früher in fast jedem Schlafzimmer hing? Nun, sowohl aus Schlafzimmern als auch von richtigen Bergseen sind Rothirsche inzwischen weitgehend verbannt, gilt doch im überwiegenden Teil der mittel- und süddeutschen Gebirgsräume ein Abschussgebot, da der König unserer Wälder, wie er ja besonders gerne in Natursendungen aus Bayern genannt wird, dort wegen seiner Verbissschäden bei den Förstern nicht wohlgelitten ist. Und so kommt es, dass die besten Rotwildbestände Deutschland im Nordosten des Landes zu finden sind, in Mecklenburg-Vorpommern und bei uns im Lauenburgischen (Bild 1).

Bild 1

Und es ist nun wieder so weit: Im Morgennebel und im goldenen Abendschein kann man in unseren Wäldern wieder die urigen Rufe der Hirsche hören, die – mit einem stattlichen Geweih ausgestattet (Bild 2) – Streit mit ihresgleichen suchen, um die Frage zu klären, wer mit wem sich paaren darf. Nur die stärksten Hirsche sind in der Lage, ein Rudel zusammen zu halten und Nebenbuhler in die Flucht zu schlagen. Die Kampfwaffe der brünftigen Hirsche, das Geweih, kostet die Tiere einen erheblichen Aufwand. Zunächst einmal ist es ja nicht gerade praktisch, zwischen den Bäumen des Waldes mit einem Kronleuchter auf dem Kopf herumzulaufen. Vielleicht wird es genau deshalb jedes Jahr nach der Paarungszeit, wenn es nicht mehr gebraucht wird, abgeworfen. Das heißt aber, dass es jedes Jahr neu gebildet werden muss. Im Gegensatz zu den weiblichen Tieren, die sich diesen Aufwand sparen, investieren die männlichen Tiere einen Großteil ihrer physiologischen Energie in den immer wieder neuen Wuchs des Geweihs (Bild 3). Kehrt im Spätherbst wieder Frieden ein, gehen die Hirsche von Kämpfen geschwächt und Paarungsfreuden ausgelaugt in die Kälte und den Nahrungsmangel des Winters. Kein Wunder, dass zu Zeiten, als noch Wölfe durch die Lande strichen, die männlichen Hirsche ihnen sehr viel leichter zum Opfer fielen als die weiblichen. Kam dann der Frühling, gab es wesentlich weniger männliche als weibliche Tiere. Und da macht doch das Macho-Gehabe der Hirsche Sinn, sich einem Harem zuzulegen und möglichst viele Hirschdamen zu beglücken… - und vielleicht stellen sich solche Verhältnisse ja auch wieder ein; schließlich sind wir zur Zeit „Wolfserwartungsland“ (ein schönes Wort!).

Bild 2
Bild 3

Von alledem bekommen wir meist nicht viel mit, und am ehesten sehen wir die Fährten der Rothirsche mit ihren großen, mehr oder minder ovalen Trittsiegeln auf unseren Waldspaziergängen (Bild 4). Allerdings muss man aufpassen, dass man sie nicht mit den etwas kleineren Trittsiegeln der Damhirsche verwechselt (Bild 5). Die sind generell kleiner, aber da es ja auch junge Rothirsche gibt, hilft einem die Größe des Trittsiegels nicht unbedingt weiter. Damhirsch-Trittsiegel sind jedoch auch etwas schmaler, und manchmal sogar ein wenig eingebuchtet an den Seiten, mit abrupterer Rundung vorne, so dass das Trittsiegel ein bisschen kastenförmig aussieht.

Bild 4
Bild 5
Bild 6

Die Damhirsche selber sind kleiner und gedrungener als die Rothirsche und tragen im Sommer zahlreiche weiße Tupfen auf einem rotbraunen Fell (Bild 6). Das Winterfell hingegen ist grau, und die Tupfen sind kaum noch erkennbar. Der Hirsch trägt dann ein Geweih, das in einer Schaufel endet (Bild 7). Auch die Damhirsche haben jetzt Brunftzeit; allerdings kommt aus ihren Hälsen nicht das sonore Röhren seines großen Verwandten, es klingt eher – je nachdem, wen man fragt – nach Bellen, Röcheln oder Rülpsen. Damhirsche leben, wenn der Jagddruck es nicht verhindert auch gerne statt in Rudeln in großen Herden und lieben offene Landschaften. Darin spiegelt sich ihre Herkunft aus vorderasiatischen Parklandschaften mit offenen Wäldern und Steppen, von wo sie schon im Mittelalter nach Mitteleuropa gebracht worden sind, und zwar als Beute für die jagenden Adelsdamen – man kann den Namen also wörtlich nehmen. Gleichwohl ist der Damhirsch nicht unbedingt ein Exot; schon Professor Grzimek hat in den Jahren, als in den Schlafzimmern noch der Hirsch am Bergsee röhrte, darauf hingewiesen, dass in früheren Warmzeiten Damhirsche durchaus einheimisch bei uns waren, und das es keinen Grund gebe, warum das nicht auch heute wieder so sein sollte. Und seien wir ehrlich, wenn uns schon in vielen Gegenden Deutschlands keine Rothirsche erlaubt sind, ist es doch tröstlich, wenigstens Damhirsche beobachten zu können.

Nicht bei uns, aber in nördlicheren Gebieten Schleswig-Holsteins kann man einem weiteren Hirsch begegnen, der ein bisschen so aussieht, als hätte man einen Rothirschkopf auf einen Damhirschrumpf montiert. Das ist der Sikahirsch (Bild 8). Sikahirsche stammen aus Ostasien, und ihr japanischer Name „Shika“ heißt einfach nur „Hirsch“, so dass unser deutscher Name für diese Tiere doppelt gemoppelt ist – aber das weiß ja kaum einer. In ihrer Heimat sind sie so stark bedroht, dass es vielleicht nicht schlecht ist, wenn in Deutschland stabile Reservepopulationen existieren. Im Gegensatz zu den beiden anderen, bereits erwähnten Hirscharten, die nur durch den Jagddruck zu einem Leben in der Dämmerung in dichten Wäldern gezwungen werden, liebt der Sikahirsch dichtes Unterholz. Zu Hause ist er in Flussauen, und bei Störung flieht er gerne in’s Wasser.

Bild 7
Bild 8

Ebenfalls gut schwimmen kann das Reh (Bild 9), das sich auch in Auen wohl fühlt. In waldarmen Gebieten reicht ihm sogar das Röhricht entlang von Gewässern als Unterstand völlig aus. Es ist auch sonst die wohl anpassungsfähigste Hirschart bei uns, die häufigste ist es allemal. Schon kleine Gebüsche und Knicks reichen ihm als Unterschlupf, und man kann sie häufig auch auf Wiesen und Feldern sehen. Gleichwohl ist es durch sein kleines Geweih, seine schmale Gestalt und die nach hinten ansteigende Rückenlinie prädestiniert (Bild 10), als sogenannter Buschschlüpfer auch in dichtestem Bewuchs leben zu können. Auch die Trittsiegel des Rehs unterscheiden sich deutlich von denen der größeren Hirsche: Sie sind klein und sehr spitz, beinahe dreieckig im Umriss (Bild 11). Andere Zeichen seiner Anwesenheit sind Schlafkuhlen (Bild 12) und natürlich auch abgestorbene Bäumchen, die die Rehböcke mit dem Fegen ihrer kleinen Geweihe der Rinde beraubt haben (Bild 13). Während übrigens die anderen Hirsche unserer Heimat einer altweltlichen Evolutionslinie entstammen, weist das Reh Verwandtschaftsbeziehungen zu den Wedelhirschen der Neuen Welt auf. Das legt nahe, dass seine Vorfahren einmal in grauer Vorzeit über die Beringstraße nach Sibirien und dann zu uns gekommen sind.

Bild 9
Bild 10
Bild 11
Bild 12
Bild 13

Und dann wäre da noch – last not least – der Elch (Bild 14). Elche gibt es bei uns schon lange nicht mehr, aber es gab sie mal bis tief in die Niederlande hinein, wo sogar der alte Cäsar Bekanntschaft mit ihm gemacht hat. Er ließ sich von den Germanen erzählen, dass der Elch so steife Beingelenke habe, dass er sich zum Ausruhen an einen Baum lehnen und im Stehen schlafen müsse; der geschickte Jäger komme dann und schlage den Baum um, woraufhin der Elch zu Boden falle, nicht mehr aufstehen könne und mithin zur leichten Beute werde. Man darf getrost behaupten, dass das Jägerlatein im wahrsten Sinne des Wortes war.
Angeblich gibt es wieder einen kleinen Elchbestand im östlichen Brandenburg, der von Tieren aus Polen gegründet worden ist. Manchmal machen sich die Tiere auch auf, weiter nach Westen vorzudringen. Die meisten landen zwar auf ihrem weiten Weg unterwegs unweigerlich in einer Kühltruhe, dennoch schafft es alle Jubeljahre doch mal einer bis zu uns. So wurde 1970 einer sogar mitten in Lübeck erlegt, ungewollt – er sollte nur betäubt werden, war aber dem Stress nicht gewachsen. Ein weiterer 2000 bei uns im Lauenburgischen, diesmal vorsätzlich und illegal – immerhin hat es den Schießer 4000€ gekostet, und er wurde aus dem Landesjagdverband geworfen. Vielleicht hat aber auch dieses imposante Tier in unserer Nachbarschaft eine Chance. Es werden so weite Räume an der Elbe renaturiert – ist es da illusorisch, sich vorzustellen, dass auch der Elch dort wieder heimisch werden könnte? Selbst wenn man an den Elbdeichen Gatterzäune aufstellen müsste, es bliebe die Außendeichsaue, in denen sich die Elche frei bewegen könnten, von Hamburg bis Magdeburg. Wäre das nichts? Zu versponnen? Aber wo kämen wir hin, wenn wir keine Visionen hätten?
Dr. Heinz Klöser

Bild 14


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