Januar – Steine, die im Weg liegen

Bild 1

Wir sind das ja in unserer Gegend so gewohnt, dass uns überall Steine im Weg liegen. Sie begegnen uns auf unseren Wanderungen unvermittelt im Wald (Bild 1) und anderswo, ohne dass ein Grund erkennbar wäre, warum sie nun gerade da herum liegen. Unsere Altvorderen nannten diese Steine Findlinge, eben weil man sie wirklich überall finden kann. Macht man mal einen Ausflug an die Küste der Ostsee, findet man sie dort in großen Mengen entlang der Strände, weil die Sturmbrandung zwar Sand, Ton und Lehm, vielleicht auch Schotter und Kies, bestimmt aber nicht diese massigen, schweren Brocken wegspülen kann. Also bleiben all die Steine, die irgendwo in dem jetzt weg gewaschenen Boden gesteckt haben, am Fuß der Kliffs liegen (Bild 2). Spätestens dort erkennen wir schnell, dass nicht ein Stein wie der andere aussieht, sondern sich in Farbe und Textur deutlich unterscheiden.

Bild 2
Bild 3

Natürlich wissen wir noch aus unserer Schulzeit, dass wir diese Findlinge der Eiszeit verdanken, als große Inlandeismassen sich aus dem Norden über unsere Heimat schoben. Als sie schließlich abschmolzen, blieben die Steine, die sie von den heute so abgeschliffenen und kargen Felslandschaften Skandinaviens abgesprengt hatten, bei uns liegen, eingebettet in all dem anderen Moränenschutt aus feinerem Material. Oft kann man an diesen Findlingen noch Schrammen erkennen, die davon herrühren, dass die im Eis mitgeschleppten Steine über den felsigen Untergrund gescheuert wurden (Bild 3). Unter dem gewaltigen Druck der bis über 3000 Meter mächtigen Gletscher wurden dabei sowohl der Untergrund als auch die Findlinge geglättet und mit rundlichen Konturen versehen.

Bild 4
Bild 5

Aus der Schulzeit wissen wir aber auch noch, dass fast ganz Nordeuropa und der angrenzende Teil Osteuropas der alte Kern unseres Kontinents ist und im wesentlichen aus Graniten oder ähnlichen Gesteinen besteht. Wer schon mal Urlaub in Schweden gemacht hat, kennt die Felsbuckel, die sich überall aus dem Boden wölben und alle aus rötlichem Granit bestehen, den man in unseren Findllingen auch leicht wieder erkennt (Bild 4 und 5). Wo kommen dann aber all die anderen Steine her?

Zunächst sind die skandinavischen Granitgebiete so einheitlich nun auch wieder nicht. Manche dieser Granite sind in der Tiefe der Erde unter hohem Druck und Hitze plastisch und zähflüssig geworden, so dass die in ihnen regellos verteilten Kristalle sich bandförmig ausgerichtet haben. Solche Steine mit bandförmigen Strukturen, oft auch aufgefalten (Bild 6), finden wir auch nicht eben selten. Obwohl sie mit ihrem Ausgangsgestein viel gemein haben, sind sie doch in ihrer Struktur unterschiedlich genug, dass man jetzt nicht mehr von Granit, sondern von Gneis spricht. Da diese Gneise sich nur im tiefen Untergrund bilden konnten, musst erst eine Menge darüber liegendes Gestein verwittern und abgetragen werden, bis diese Gneise in die Gletscher und schließlich in unsere Böden gelangen konnten. Sie können über eine Milliarde Jahre alt sein und zu den ältesten Gesteinen überhaupt gehören.

Bild 6

Möglich ist natürlich auch, dass sich im Gestein Gänge und Klüfte gebildet haben. In solche Spalten dringen dann Gesteinsschmelzen aus dem Untergrund ein, die dünnflüssig sind, weil sie flüchtige Elemente enthalten, die der Bildung von Granit und Gneis entkommen sind. Solche Schmelzen verfestigen sich erst bei sehr niedrigen Temperaturen. Steigen sie aber in Gesteinsspalten auf, kommen sie in derart kühle Umgebungen, so dass sie jetzt allmählich zu sogenannten Pegmatiten erstarren. Dies geht langsam genug, dass Zeit zur Bildung großer Kristalle bleibt, die man an eckigen, scharfkantigen Bruchlinien erkennen kann und die auch ein Gletscherschliff nicht gänzlich beseitigen konnte (Bild 7), da sie unter Druck ganz einfach wegsplittern.

Bild 7

Nicht alles jedoch, was die Gletscher bei uns haben liegen lassen, ist Granit oder etwas aus Granit Entstandenes. Wenn man aufmerksam hinschaut, erkennt man auch schnell eine Reihe andere Steinarten, die auch nicht aus den Urzeiten der Erde stammen, sondern (geologisch) jüngeren Datums sind: Da gibt es zum Beispiel Findlinge, die haben das Ganze bereits zweimal mitgemacht: Sie bestehen deutlich aus kleineren runden Bestandteilen, offensichtlich Kies und Steine, die schon einmal von einem Fluss oder von einem Gletscher rund geschliffen worden waren und dann erneut zu einem festen Gestein verbacken wurden (Bild 8). So ein Gestein nennt man Konglomerat, Zusammengesetztes.

Bild 8

Aber auch geschichtetes Kalkstein finden wir da, der aus ehemaligen Korallenriffen stammt (Bild 9). Diese Riffe wuchsen in einem flachen Meer, das vor etlichen Millionen Jahren den Süden Osteuropas überspülte und zumindest bis nach Gotland und Estland reichte, soweit heute noch Reste dieser Riffe erkennbar sind und eben nicht von den Gletschern völlig zerstört wurden. Da diese Riffe lebendige Strukturen waren, verwundert es nicht, wenn man in diesen Kalksteinen gelegentlich auch Fossilien finden kann (Turmschnecken: Bild 10).

Bild 9
Bild 10

Wieder andere Gesteine kommen aus dem Nordwesten, wo sich vor dem alten Kontinent Sand und Schlamm aus der Verwitterung des Kontinents in einem tieferen Meerbecken abgelagert haben. Die aus diesem Material gebildeten Sandsteine (Bild 11) wurden später zu einem riesigen Gebirge aufgefaltet, das einmal Nordamerika und Europa zu einem einzigen Kontinent verbunden hat, so wie es heute der Ural mit Europa und Asien macht. Dieses Gebirge ist das Kaledonische Gebirge, dessen Verlauf man heute durch ganz Norwegen, den Norden Schottlands (das dem Gebirge den Namen gab; Caledonia ist der lateinische Name Schottlands) und den Nordwesten Irlands verfolgen kann. Der Zusammenhalt ging verloren, als sich der Atlantik bildete und das Kaledonische Gebirge wie ein Reißverschluss auseinander ging, so dass wir heute die Reste dieses Gebirges nicht nur in Europa wiederfinden, sondern auch im Osten Grönlands und Kanadas.

Bild 11

Aus dieser Zeit stammen auch die wohl erstaunlichsten Gesteine, die uns die Gletscher mitgebracht haben: Vulkanische Gesteine (Bild 12), Brocken aus Lavabruchstücken und Tuff. Wo in Skandinavien sind wohl die Vulkane gewesen, denen wir dieses Gestein verdanken? Es hat lange gedauert, bis die Geologen sie gefunden hatten. Ihre Reste liegen heute dort, wo die Nordsee am tiefsten ist, in der Tiefen Rinne vor der norwegischen Südküste. Sie waren aktiv, als der nordamerikanisch-europäische Kontinent auseinander riß; ähnlich wie es heute in Ostafrika am Rand des großen Grabenbruchs zu beobachten ist, das von Vulkanen gesäumte Rift Valley, das nichts anderes als ein Ozean im Werden ist.

Bild 12

So haben uns die Gletscher der Eiszeit nicht nur Erinnerungen an längst vergangene Erdzeitalter, sondern auch Ausblicke in die große weite Welt in die Landschaft gelegt. Doch gibt es auch andere Überbleibsel aus Zeiten, als in unserer Heimat alles ganz anders als heute war. Der Rand der Gletscher der letzten Eiszeit zog sich genau durch unsere Gegend, weiter im Südwesten lag das Land im Vorfeld der Gletscher, ein kalte, vegetationsfreie Frostschuttwüste. Der Wind blies Boden und Sand davon, und auf die Steine, die zurück blieben, wirkte das wie ein Sandstrahlgebläse. So wie der Wind immer mal wechselte, schliff er so die Steine mal von der einen, mal von der anderen Seite ab. Die abgeflachten Schmirgelflächen begegneten sich in scharfen Kanten, und Steinen mit solchen Marken, sogenannte Windkanter, findet man ebenfalls heute noch an manchen Stellen (Bild 13).

Bild 13

Kehren wir noch einmal an den Strand der Ostsee zurück, entdecken wir auch Steine, die mit der Eiszeit nun gar nicht mehr zu tun haben, die Feuersteine (Bild 14) die aus den Kreideklippen in Mön oder Rügen freigewittert sind und sich in Strandwällen ablagern. Sie sind die Reste mikroskopisch kleiner Einzeller, die freischwebend im Wasser des Meeres gelebt haben, das zu Zeiten der Dinosaurier Norddeutschland überpülte. Manchmal findet man an diesen Stränden auch intensiv orange gefärbte, ein bisschen wie Plastik wirkende Klumpen (Bild 15). Das ist der berühmte Bernstein, fossiles Harz von Nadelbäumen aus Wäldern, von denen wir heute nur noch vermuten können, dass sie vor der Eiszeit irgendwo in Schweden oder Finnland gewachsen haben müssen. Von diesen Wäldern, beziehungsweise von den geologischen Schichten mit den Überbleibseln dieser Wälder hat die schabende Wirkung der Gletscher nichts übrig gelassen, und nur diese kleinen Klümpchen, die ein auch heute nicht mehr existierender Fluss in unsere Gegend gespült hat, legen noch Zeugnis davon ab, dass es sie überhaupt jemals gegeben hat.

Bild 14
Bild 15


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