September – Pracht in Armut: Die Heide

Bild 1

Besungen von Dichtern, besucht von Abertausenden, bietet der Spätsommer das wohl überwältigendste Blütenspektakel, das der Norden Deutschlands zu bieten hat: die ach so braune Heide schmückt sich mit Myriaden winziger, rosiger Blüten (Bild 1). Die Heide, Inbegriff unserer Heimat, und dennoch bedenkenlos einem dubiosen Fortschritt geopfert – dennoch zieht uns die Schönheit selbst der kläglichen Reste, die uns noch geblieben sind, in ihren Bann. Früher, als Hermann Löns noch Mümmelmann durch die Fluren streifen ließ, nahmen die Heiden weite Gebiete ein, und wenn man heutzutage in die Lüneburger Heide fährt (Bild 2), könnte man meinen, das wäre immer noch so. Indessen glauben auch viele, dass solche Heiden ein Spezifikum der Lüneburger Geest sind. Dass sie einmal von den Dünen Flanderns über ganz Norddeutschland hinweg bis hinauf nach Jütland verbreitet waren, weiß heute kaum noch einer. Und gerade in unserer Region wären die Heiden wohl völlig verschwunden, wenn sie nicht im Grünen Band, dem ehemaligen Todesstreifen, offen gehalten worden wären (Bild 3).

Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5

Diese zur Heideblüte so prachtvollen Landschaften hielt man zu Hermann Löns‘ und des Kaisers Zeiten für eine romantische Wildnis, verursacht durch so arme Sandböden, dass sie keinen Baumwuchs tragen könnten, es sei denn ein paar weit auseinander stehende, knorrige Wacholder (Bild 4) oder Birken (Bild 5). Eine Landschaft, in der nur Zwergsträucher wie die anspruchslose Besenheide (Bild 6) gediehen und hartnäckigen Schäfern erlaubten, mit genügsamen Heidschnucken (Bild 7) ein karges Auskommen zu finden. Wie romantisch! – Gleichwohl falsch. Die Wahrheit ist genau anders herum: Ursprünglich war die sandige Geest und die Sanderflächen vor der eiszeitlichen Endmoräne von geschlossenen Eichen-Birken-Wäldern bedeckt (Bild 8). Als vor etwa 5000 Jahren Ackerbau und Viehzucht in diese Gebiete kamen, fanden sie dort nur in den Auen entlang von Wasserläufen ausreichend gute Böden, um dort Ackerbau zu treiben, aber sie konnten ihr Vieh in großen Herden in die Wälder treiben, da die Eicheln gutes Futter boten. Nur zerstörten sie so auch die Verjüngung der Wälder. Dazu kamen Rodungen und Brennholzgewinnung, und die anhaltende Schafbeweidung auf den nun baumfrei gewordenen Flächen verhinderte endgültig die Wiederbewaldung, und so bildete sich ein neues Gleichgewicht heraus, das auf allseitigem Mangel beruhte:

Die wenigen Äcker brachten kaum Stroh. Also schälte man den vom Heidekraut durchwurzelten Boden ab, um die so gewonnenen Soden, die sogenannten Plaggen, als Einstreu in die Winterställe der Schnucken zu werfen. Im Frühjahr, wenn die Schnucken wieder auf die Heide kamen, nahm man die nun mit Dung durchsetzten Plaggen heraus und düngte damit die Äcker. Der Heideboden blieb so jedoch seiner humus- und nährstoffreichen Oberschicht entblößt, und nur der nackte Sand blieb zurück (Bild 9). Durch diesen Raubbau verarmte der Heideboden schließlich weit über jedes natürliche Maß hinaus. Es zeigte sich jedoch, dass gerade auf den nackten Sandflächen die Besenheide besonders gut austrieb (Bild 10), so dass sie recht schnell die vorherrschende Pflanze auf den Heiden wurde. Da sie als Schaffutter besonders geeignet ist, behielt man diese Praxis Jahrtausende lang bei.

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10
Bild 11

Die Besenheide eignete sich außerdem in besonderem Maße als Bienenweide, so dass fast alle Heidehöfe auch Imkereien als zweites Standbein betrieben (Bild 11). Allerdings machten den Bienen die zahlreichen Spinnweben zu schaffen (Bild 12), doch wurden die von den ständig weiterziehenden Schnuckenherden zerrissen. Ein Problem für die Schafweide waren jedoch die Wacholder, die von den Schnucken nicht gefressen wurden und sich dementsprechend ausbreiteten (Bild 13). Während wir heute gerade die dichteren Wacholderbestände als besonders reizvoll und typisch für die Heiden ansehen, haben die Altvorderen sie heftigst bekämpft und gerodet, so dass in den damaligen Heiden Wacholderhaine gar nicht vorkamen. Immerhin bot der Wacholder jedoch auch einen gewissen Nutzen, nämlich als Brennholz (Holz war ja knapp nach Vernichtung der ursprünglichen Wälder) und Räucherholz; seine Beeren (Bild 14) dienten schließlich noch zum Würzen der Schnuckenbraten.

Bild 12
Bild 13
Bild 14

Schnuckenbraten, Katenschinken und Heidehonig! Das schätzen wir heute noch. Dennoch wurden die Heiden, nachdem Kunstdünger zu erschwinglichen Preisen verfügbar wurde, bedenkenlos unter den Pflug genommen oder mit Kiefern und Fichten aufgeforstet. Die Landwirtschaft, die ja gerne für sich in Anspruch nimmt, die idyllischen Landschaften überhaupt erst geschaffen zu haben, war ja noch nie zimperlich, wenn es sich nicht hinreichend rechnete. Die wenigen Restflächen landeten dann beim Naturschutz, und der war in vielen Fällen überfordert, das ausgeklügelte Wirtschaftssystem aufrecht zu erhalten, dem die Heide ihre Entstehung verdankt. Die Folge war oft, dass sich spontan der Wald wieder einfand, und im Schatten der Bäume verschwanden die Heidepflanzen schnell. Nicht zuletzt daran hat man erkannt, dass die Heiden eben keine Natur- sondern eine Kulturlandschaft darstellen. Gelang es, die Flächen offen zu halten, übernahm oft die Drahtschmiele, ein anmutiges und zierliches Gras (Bild 15), das trotz seiner zarten Gestalt doch eher einen drahtigen Charakter hat und die Besenheide zu verdrängen vermag (Bild 16), weil sie in der Humusschicht besser aufkeimt – und die Heide fast gar nicht.

Bild 15
Bild 16
Bild 17
Bild 18

Aber Moment mal – wieso ist der Naturschutz überhaupt daran interessiert, Heiden zu erhalten, wenn sie doch aus der Zerstörung der ursprünglichen Natur hervor gegangen sind? Was ist denn dagegen einzuwenden, wenn sich wieder Wälder entwickeln, die vor Jahrtausenden abgeschlagen wurden? Die Antwort liegt nicht nur in der außergewöhnlichen Schönheit der Heideblüte. Ähnlich wie in den orchideenreichen Gariguen und Phryganas des Mittelmeeres, die ebenfalls die Folge ruinierter Waldlandschaften sind, bieten auch die Heiden mit ihren kargen, schwierigen Lebensbedingungen einer stattlichen Anzahl spezialisierter Arten eine Heimstatt. Und da finden sich Arten zusammen, die sich in der natürlichen Landschaft wohl nie begegnet wären. So besiedelt die aus dem Süden stammende, Wärme liebende Zauneidechse (Bild 17) die von der Sommersonne durchglühten Heiden ebenso wie das Birkhuhn (Bild 18), das in den Heiden die gleichen Futterpflanzen, Insekten und Verstecke findet wie in den Mooren und Fjällen seiner nordischen Herkunft.

Nicht zuletzt sind Heiden aber auch Kulturdenkmäler, ein nicht weniger wichtiges Erbe als eine erhabene Kathedrale oder eine finstere Burg. Seit der Jungsteinzeit bis in die frühe Neuzeit hinein waren Heiden die Landschaften, die in ganz Nordwesteuropa bis hinauf nach Schottland die Kulisse boten, vor der sich unsere Geschichte abspielte. Die heute liebevoll gepflegten Ständerhäuser mit ihren Reetdächern waren nun einmal nicht von güllestinkenden Maisfeldern umgeben, sondern in eine eben doch trotz aller Alltagshärten irgendwie romantische Heidelandschaft eingebettet. Die Erinnerung daran sollten wir nicht verlieren.
Dr. Heinz Klöser



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