Oktober – Seidenschleier im Gras

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Es ist Herbst: Die Nächte werden kühler, die Bäume werden bunt, und oft hüllen Morgennebel die Landschaft ein. Lichtet er sich, lässt die Sonne im Gras und niedrigen Sträuchern ein Wunderwerk aus zarten Schleiern erstrahlen (Bild 1), nämlich Hunderte von Spinnennetzen, die – im Sommer unbemerkt (bis man sie im Gesicht hat…) – jetzt durch den starken Morgentau wie kostbare Perlenkolliers prangen (Bild 2). Trotz dieser Pracht sind die Urheber dieser Schönheit bei den meisten Menschen ausdrücklich unbeliebt, und man kann sich fragen, warum eigentlich? Immerhin sind Spinnen unsere Verbündeten, wenn es darum geht, dass uns diverse Insekten nicht die Haare vom Kopf fressen sollen. Ohne die allgegenwärtigen Spinnen wären wir längst verhungert.

Bild 2

Spinnen sind ein uraltes Erfolgskonzept; sie stammen aus einer fernen Vergangenheit, als das Leben zum ersten Mal aus den Ozeanen an Land kroch, zusammen mit anderen Gliedertieren wie Tausendfüßlern und den Vorfahren der Insekten. Diese anderen Gliedertiere stellten die Beute der räuberischen Spinnen dar, und dabei ist es geblieben bis heute, so dass es die Spinnen nie nötig hatten, sich durch weitere Anpassungen zu verändern – Millionen und Abermillionen von Jahren gingen spurlos an ihnen vorbei. Bis auf eine maßgebliche Ausnahme: Als die Insekten sich in die Lüfte erhoben, wohl nicht zuletzt, um dem Jagddruck am Erdboden entgehen zu können, wuchsen den sie jagenden Spinnen nicht etwa auch Flügel, sondern statt dessen begannen sie ihre Netze in die Zweige zu hängen, um damit die fliegende Beute aus der Luft zu fischen.

Und damit haben sie etwas Einzigartiges geschaffen: Kein anderes Material ist so elastisch und dabei so reißfest wie ein Spinnfaden. Mit all unserer Technik sind wir nicht in der Lage, einen Draht oder eine Schnur zu produzieren, die sich mit einem Spinnfaden messen kann. Das hat die Amerikaner zu Doris Days Blütezeit dazu veranlasst, aus Spinnenseide besonders reizvolle Damennachthemden herzustellen. Trotz ihrer zweifellos erotischen Wirkung waren diese Negligées jedoch kein großer Erfolg. Böse Zungen behaupten, sie seien zu reißfest gewesen… - Immerhin werden Spinnfäden auch heute noch dort eingesetzt, wo hochqualitative und extrem dünne Fäden benötigt werden, zum Beispiel in Mess-Okularen in der Mikroskopie. Und die Amerikaner von heute sind natürlich von einem anderen Schlag: Sie experimentieren mit Spinnenseide, um daraus besonders leichte schussfeste Westen herzustellen.

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Das alles ficht die Spinnen nicht an, die auch heute noch ihre Netze weben. Dabei sind die Konstruktionen der Netze durchaus unterschiedlich (Bild 3). Die einen spinnen waagerechte Baldachine (Bild 4), die startende und landende Insekten abfangen, die anderen bauen die allbekannten, vertikal hängenden Radnetze (Bild 5). Letztere sind wohl der Inbegriff eines Spinnennetzes überhaupt, und bei uns sind die Konstrukteure in der Regel Kreuzspinnen, die jetzt mit besonders dicken Leibern auffällig sind. Die dicken Hinterleiber der Kreuzspinnen sind nur den weiblichen Tieren zu Eigen, und sie deuten auf ein baldiges Drama hin. Kreuzspinnen sind nämlich lebend gebärend – was man so lebend nennt: Ist der Nachwuchs schlüpfreif, platzt der Mutterspinne schlicht der Leib, und sie stirbt, während Hunderte zwergiger Jungspinnen ausschwärmen, um ein Winterquartier zu finden. Allerdings gibt es die Väter zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr – die hat die weibliche Spinne im wahrsten Sinne zum Fressen gern gehabt und im Anschluss an die Paarung im Frühjahr verspeist.

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Überall leicht zu finden ist die Gartenkreuzspinne (Bild 6), ein dunkles, grau und braun gefärbtes Tier. Auf Heiden und Mooren hingegen sehen die Kreuzspinnen deutlich heller aus, und es handelt sich hier auch um eine eigene Art, die Moorkreuzspinne (Bild 7). Neben diesen eher tarnfarbigen Arten fällt eine kleinere und nur an warmen Orten vorkommende Art durch ihre geradezu poppige Erscheinung auf: die Kürbiskreuzspinne, so genannt nach ihrem prallen, grünen Hinterleib, der nur schwer die sonst für Kreuzspinnen typische Kreuzzeichnung erkennen lässt (Bild 8). Hingegen trägt sie auf der Unterseite kirschrote Spinndrüsen (Bild 9), so dass sie eine auffälligere Erscheinung ist.

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10

Ebenfalls große Radnetze bauend, und ebenfalls auffällig gefärbt  ist die Wespenspinne (Bild 10). Sie ist eine Art, die erst mit den immer wärmer werdenden Sommern zu uns gekommen ist und sich nun, da es wieder etwas kühler wurde, immer noch an warmen Stellen hält. Sie legt Eier, die sie in großen Kokons verwahrt, und ihre Netze lassen sich dadurch leicht von denen der Kreuzspinnen unterscheiden, dass sie immer einen zickzackförmigen Strang in der Mitte einbaut. Ihr Name bezieht sich auf den schwarzgelb gefärbten Hinterleib, ansonsten täuscht er: Im Gegensatz zu Wespen sticht diese Spinne nicht – sie ist wie alle bei uns heimischen Arten für Menschen völlig harmlos.

Ebenfalls eine Netze bauende Art ist die Listspinne, die man jedoch oft abseits davon frei herum laufend sieht (Bild 11). Sie sonnt sich gerne auf Grashalmen, wobei sie die Beine parallel zusammen legt  und dadurch schwer sichtbar ist. Fühlt sie sich gestört, wechselt sie blitzschnell auf die Blattunterseite. Auch diese Art legt Eier, doch trägt sie den Eikokon mit sich herum (Bild 12), bis er zu groß und schwer wird. Dann baut die Listspinne ein eigenes Kindernetz für ihren Nachwuchs und bewacht ihn fürsorglich. Der Name bezieht sich auf ein besonderes Balzverhalten des Männchens: Es bietet der weiblichen Spinne ein gefangenes und zu einem Paket verschnürtes Insekt an, an dem das Weibchen – so sie das Werbegeschenk annimmt – sofort zu fressen beginnt. Und während die Dame schlemmt, folgt das Männchen flugs seinen eigenen Nöten, ohne das Schicksal der Kreuzspinnenmännchen teilen zu müssen.

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Bild 12
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Und manche Spinnen spannen gar keine Netze auf. Die Finsterspinne, eine dunkel gefärbte und im Verborgenen lebende Art (Bild 13), jagt aktiv am Waldboden und benutzt ihre Seide nur, um ihre Nester damit auszukleiden (Bild 14).

Übrigens: Nicht alles, was wie eine Spinne aussieht, ist auch eine. Die Weberknechte zum Beispiel lassen sich leicht von den Spinnen dadurch unterscheiden, dass ihr Körper aus einem ungeteilten Rumpf besteht und nicht wie bei den Spinnen in Vorder- und Hinterkörper gegliedert ist (Bild 15). Zoologisch betrachtet sind sie auch weniger mit den Spinnen als vielmehr mit den Skorpionen der warmen Länder verwandt, eine Verwandtschaft, die man ihnen nicht gleich ansieht, insbesondere, weil ihnen der markante Giftstachel (dankenswerterweise) fehlt.

Bild 15
Bild 16

Nicht ganz so harmlos wie Weberknechte und Spinnen sind hingegen die Milben, von denen die Rote Samtmilbe an warmen Tagen leicht im Fallaub der Wälder zu finden ist (Bild 16). Unter den Milben gibt es eine Fülle von parasitischen Arten, manche von ihnen sogar nützlich, weil sie zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden können. Aber spätestens bei Zecken, den wohl bekanntesten Milben, hört der Spaß auf, die zwar selber durch ihr Blutsaugen eher lästig als wirklich schädlich sind, aber durch Übertragung mehrerer schwierig zu behandelnder Krankheiten eben doch gravierende Probleme verursachen können. Gleichwohl bieten auch Milben einen Superlativ: Im Vergleich zu ihrer Körpergröße können sie das größte Gewicht stemmen von allen lebenden Organismen – die rekordhaltende (allerdings tropische) Art kann das 1200-fache ihres eigenen Körpergewichts halten. Und auch die winzigste Art innerhalb der Gliedertiere gehört zu den Milben. Und da soll schließlich auch nicht unerwähnt bleiben, dass manche Milben sogar zur Herstellung von Käse dienen. Wer es nicht glaubt, möge einen Ausflug nach Würchwitz in Sachsen-Anhalt unternehmen und sich selbst davon überzeugen.
Dr. Heinz Klöser



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