Juni – Ein toter Baum

Dass der Tod zum Leben gehört, weiß eigentlich jeder, auch wenn wir das gerne verdrängen und fürchterlich erschüttert sind, wenn uns das wieder mal ins Bewusstsein gebracht wird. Vielleicht liegt es daran, dass draußen im Wald, im nahe gelegenen Park und erst recht im eigenen Garten ein toter Baum als befremdlich und störend empfunden wird, etwas, das man entfernen und aus den Augen schaffen muss. Wo tote Bäume sind, da gibt es auch wallenden Nebel, finstere Ahnungen und Gespenster…

Die Wahrheit ist, dass an toten Bäumen wirklich lauter Wesen erscheinen, die man sonst eher nicht zu sehen bekommt, aber mit Spuk und Verderben hat das nichts zu tun, sondern mit dem ewigen Kreislauf des Lebens. Mögen Bäume uns mit ihrer langen Lebensdauer auch lässig überdauern – manchmal um Jahrtausende – einmal sterben sie doch, und wenn das passiert, wird nach und nach der gesamte Baum zurück in Boden umgewandelt, aus dem schließlich neue Bäume emporwachsen können. Dies kann ein lange anhaltender Prozess sein, und manchmal dauert die Zersetzung eines toten Baumes nicht weniger lange als sein Wachstum als lebendiger Baum.

Wenn nicht gerade ein Sturm den Baum umgeworfen hat (Bild 1), bleiben sterbende Bäume oft noch lange aufrecht stehen (Bild 2), und oft merkt man unten am Erdboden noch gar nicht, dass hoch oben bereits Äste vertrocknen und dem Zerfall preisgegeben sind. Doch andere merken das sehr schnell und sind zur Stelle, um Ihre Rolle im Spiel zu übernehmen: Insekten und Pilze.

Bild 1
Bild 2

Pilze sind allgegenwärtig, und deshalb werfen wir sie gerne alle in einen Topf und nehmen kaum wahr, dass Pilze große Spezialisten sind, von denen je nach Art jede ihre eng begrenzte Rolle spielt. Gerade daraus resultiert ja ihre annähernd unüberschaubare Vielfalt an Arten und Formen. So gibt es zum Beispiel den Rindensprenger, der nur vom abgestorbenen Kambium der kleineren Äste und Zweige lebt. Wenn er zur Sporenreife gelangt, bildet er nicht etwa die uns geläufigen Fruchtkörper aus, die „Pilze“ eben, sondern ein samtig-braunes Lager. Damit die darin enthaltenen Sporen nun vom Wind fortgetragen werden können, muss erst einmal die nicht abgebaute alte Rinde über dem Lager aufgesprengt werden – daher der Name (Bild 3). Die abgefallenen Rindenstücke und Zweige am Waldboden wiederum  sind die Domäne des Tiegelteuerlings, der seine Sporen als Pakete aus seinen winzigen Bechern schleudert (Bild 4).

Bild 3
Bild 4

Solche absonderlichen Gestalten sind den Meisten von uns gar nicht geläufig, sondern nur die typischen Hutpilze (Bild 5: Rötelritterling), die wir meist am Waldboden finden, wo sie das Falllaub der Bäume zersetzen, und die Holzschwämme (Bild 6: Lackporling), die in platten- oder dachförmiger Gestalt aus abgestorbenen Stämmen seitlich herauswachsen. Letztere sind tatsächlich die wichtigsten Holzabbauer. Sie können Jahre und mitunter Jahrzehnte von einem alten Baumstamm zehren und dabei erstaunlich groß werden (Bild 7: Feuerschwamm). Sie überstehen dabei auch, wenn der Stamm dann doch schließlich umstürzt und ändern einfach die Wuchsrichtung (Bild 8: Zunderschwamm).

Bild 5
Bild 6
Bild 7
Bild 8

Je nachdem, wovon die jeweilige Pilzart lebt, verursachen sie entweder eine Weiß- oder eine Rotfäule. Bei der Weißfäule bleibt ein faseriges, weißliches Material zurück (Bild 9), während bei Rotfäule rotbraun gefärbte Klötzchen übrig bleiben (Bild 10). Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Holz ein natürlicher Kompositwerkstoff ist. Die rötlichen Klötzchen bestehen im Wesentlichen aus Lignin, einem druckstabilen Stoff, der in der Lage ist, das Gewicht des Baumstammes zu tragen. Die weißlichen Fasern hingegen bestehen aus Zellulose und sind zugelastisch, so dass sie den Stamm zusammenhalten, wenn er von Sturmböen gebogen und verdreht wird. Im intakten Holz durchdringen sich diese beiden Komponenten und verleihen ihm die erstaunliche Festigkeit, derentwegen wir Holz ja auch als Baumaterial schätzen.

Bild 9
Bild 10

Nun aber, weich und modrig geworden, schätzen es eine Fülle von kleinen Lebewesen, die Risse und Spalten im feuchten, morschen Holz als Zuflucht nutzen, wie manche Ohrwürmer (Bild 11), Doppelfüßler (Bild 12) und Schließmundschnecken (Bild 13), die sogar die Form ihrer Gehäuse an das Leben in engen Räumen angepasst haben.

Bild 11
Bild 13
Bild 12

Insekten sind aber auch an vorderster Front, wenn es darum geht, den toten Baum zu seinen Ursprüngen zurück zu führen. So durchlöchern Holzameisen (Bild 14) die toten Baumstämme in einem Maße, dass sie schließlich eher wie ein Maschenwerk aussehen (Bild 15), und bereiten schon durch die bloße mechanische Zerkleinerung den Pilzen und Bakterien ihren Weg. Vor allem sind es aber eine Fülle von Käferarten, die sich in das Holz bohren. Sie haben dabei genau wie die Pilze ganz unterschiedliche, artspezifische Bedürfnisse und teilen sich dem entsprechend den toten Baum auf. Manche nagen nur an der Oberfläche (Bild 16: Eschenbastkäfer), andere bohren in die Tiefe.

Bild 14
Bild 15
Bild 16
Bild 17

Die auffälligsten unter all den holzbohrenden Käfern dürften wohl die Bockkäfer sein, bei denen nur die Larven im Holz leben (Bild 17). Bockkäfer sind leicht an ihren langen Fühlern zu erkennen und je nach Art sind sie gut getarnt (Bild 18: Schwarzfleckiger Zangenbock) oder aber recht auffällig gemustert (Bild 19: Leiterbock). Die schönsten und größten Arten unter ihnen sind jedoch inzwischen bei uns ausgestorben als Ergebnis einer jahrhundertelangen Forstwirtschaft, die alles nutzbare Holz aus dem Wald holte und einer ebenso gründlichen Brennholznutzung durch die ärmeren Leute, so dass kein Holz mehr liegen blieb, um diesen Insekten ein Auskommen zu ermöglichen. Immerhin können wir bisweilen noch einen wahren Riesen bei uns finden: Es ist der Nashornkäfer (Bild 20), dessen Larven in den Stämmen erst auftreten, wenn die schon fast zu modrigem Humus zerfallen sind. Und so findet man sie gelegentlich auch im Garten in Häckselhaufen, die eine Weile liegen geblieben sind (Bild 21). Sollte das passieren, kann man leicht etwas für den Naturschutz tun: Einfach den Haufen weiterhin liegen lassen.

Bild 18
Bild 19
Bild 20
Bild 21

So sehr diese im Holz verborgene Vielfalt auch unseren Blicken entzogen ist, gibt es doch Spezialisten, die den Käfern und ihren Larven auf die Schliche kommen. Spechte (Bild 22: Großer Buntspecht) klopfen systematisch tote Äste und Stämme ab. Wenn sie dann merken, dass sich die Resonanz ihrer Hiebe ändert, hämmern sie das morsche Holz weg, und dann hilft dem Insekt nichts mehr (Bild 23). Den Spechten aber bringt dies fette Beute, mit der sie in dieser Jahreszeit ihre Jungen aufziehen. Die sitzen in ihren Nestern, die – wie sollte es anders sein – ebenfalls im Holz des toten Baumes angelegt werden (Bild 24: Mittelspecht).

Bild 22
Bild 23
Bild 24

Dr. Heinz Klöser



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