Juli – Die Kultursteppe

Eigentlich leben wir in einem Waldland. Das merkt man aber nicht mehr so ohne weiteres, denn schon seit Jahrtausenden sind die Wälder unserer Heimat von unseren Altvorderen beseitigt worden und durch Wiesen, Weiden, Heiden und Ackerland ersetzt worden, steppenähnliche Landschaften, die eben profitabler erschienen. Ironie des Schicksals ist es, dass eben diese Kultursteppe ihrerseits wieder zunehmend beseitigt wird, weil sie sich in unseren modernen Zeiten nicht mehr so rechnet wie früher. Dass der Sieger des gegenwärtigen Intensivierungswahns güllegetränkte Maisäcker sind, braucht ja schon gar nicht mehr erwähnt werden. Gleichwohl gibt es die sommerlich goldenen Getreidefelder weiterhin, auch wenn sie längst nicht mehr so aussehen wie in den Bilderbüchern dargestellt. Meist dehnen sich eintönige Weiten ununterbrochener, durch Herbizide gesäuberter Monokulturen, und den bunten Reigen der wilden Ackerblumen kann man lange suchen und nur gelegentlich finden (Bild 1).

Bild 1
Bild 2
Bild 3

Dementsprechend ist den Meisten von uns die Artenfülle dieser Pflanzen gar nicht mehr geläufig. Und das ist schade, handelt sich bei vielen dieser Arten um Pflanzen, deren Urheimat oft tatsächlich in den echten Steppen am Schwarzen Meer und Vorderasiens lag, so dass vor allem die Äcker wegen der Einwanderung solcher Arten mit einer kulturbedingten Steppe verglichen wurden.

Am ehesten dürften Jedem die beiden Paradearten Klatschmohn (Bild 2) und Kornblume (Bild 3) geläufig sein. Auch diese weit verbreiteten und allgemein bekannten Arten kommen aber in der Regel nur noch dort auf den Feldern vor, wo man die Bauern extra dafür bezahlt, dass sie auf bestimmten Partien ihrer Äcker keine Gifte ausbringen. Dabei ist die Kornblume strenger an Äcker gebunden als der Klatschmohn, der auch gerne auf offenen Rohböden auftaucht, aber dann schnell wieder verdrängt wird, wenn sich nach und nach eine dauerhafte Grasdecke entwickelt.

Die Kamillen kennen wir eher als Pflanzen, die auch in unseren Gärten erscheinen. Dass es sich dabei um gleich mehrere Arten handelt, erscheint vielleicht zunächst nebensächlich, doch ist es keineswegs unbedeutend, die Arten auseinanderzuhalten, denn die Echte Kamille – zu erkennen an einem Hohlraum im Inneren des Blütenköpfchens (ja ja, Nicht-Botaniker stöhnen jetzt auf…) – ist eine wichtige Heilpflanze, während die fast identisch aussehende, aber eben mit einem markerfüllten Blütenköpfchen ausgestattete Falsche Kamille (Bild 4) in dieser Hinsicht nutzlos ist. Was die Falsche Kamille interessant macht, ist ihre bodenständige Abstammung: Während die Echte Kamille wie so viele Ackerwildkräuter aus dem Südosten stammt, hat sich die Falsche Kamille von der an der Nordseeküste vorkommenden Strandkamille abgespalten und zu einer eigenständigen Art entwickelt. Dies ließ sich lückenlos im archäologischen Befund ehemaliger Bauerndörfer wie zum Beispiel der Feddersen Wierde in Niedersachsen nachweisen, und zwar anhand von erhalten geblieben Samenkörnern, deren Form sich über die Jahrtausende von der für Strandkamillen typischen Form in die der Falschen Kamille umwandelten.

Bild 4

Natürlich ist das noch nicht alles an Kamillen. Es gibt auch noch die Strahlenlose Kamille, bei der man zweimal hinschauen muss, um ihr eine Kamille zu erkennen, denn ihr fehlen die Strahlenblüten (Bild 5), so dass die charakteristische Kamillenblume nicht in Erscheinung tritt. Andererseits sieht die Acker-Hundskamille (Bild 6) den Echten und Falschen Kamillen zum Täuschen ähnlich, ist aber – botanisch betrachtet – gar keine wirkliche Kamille („echt“ kann man ja nicht sagen…) ist. Man kann also als Botaniker immer leicht Verwirrung stiften. Immerhin kann man aber die Hundskamillen leicht durch die gröberen Blätter von den eigentlichen Kamillen unterscheiden.

Bild 5
Bild 6

Ein weiterer und durch seine leuchtend gelben Blüten leicht zu erkennender Korbblütler ist die Saatmargerite (Bild 7), die man eher auf nährstoffreichen, sandigen Äckern finden kann und so mitunter selbst auf Maisflächen aushält. Sie wächst oft mit den diversen Kamillen, denen höhere Nährstoffmengen ebenfalls zusagen, zusammen. Sie hat sich in letzter Zeit selbst zu einer Nutzpflanze gewandelt, da sie als Element der asiatischen Küche nun auch als Salat oder Gemüse Verwendung findet. Auch ein kleines Baldriangewächs, nämlich der – nomen est omen – Feldsalat (Bild 8) hat es längst zur beliebten Nutzpflanze gebracht. Andere hingegen harren weiterhin
 auf ihre Entdeckung und fristen ein mehr oder weniger unbeachtetes und zunehmend schwieriges Dasein im Schatten der Getreidehalme.

Bild 7
Bild 8

Dazu gehören unter anderen das Ackerstiefmütterchen (Bild 9), dessen grazilen Blüten die Verwandtschaft mit ihren protzig-knalligen Gartencousins nicht gleich anmerkt,  der Ackergauchheil, eine kleine Primelverwandte (Bild 10), der Ackerfrauenmantel, ein echter Zwerg (Bild 11), der fedrig leicht erscheinende Erdrauch (Bild 12) und der Ackerkrummhals (Bild 13), der in die Verwandtschaft des Gartenborretschs gehört.

Bild 9
bild 10
Bild 11
Bild 12
Bild 13
Bild 15

In die gleiche Verwandtschaft gehört auch der Ackersteinsame (Bild 14), der aber – als Zeuge, dass es unseren Ackerwildkräutern wirklich nicht gut geht – in weiten Teilen Schleswig-Holsteins ausgestorben ist. Nicht durch allgemeine Giftanwendung, sondern durch gezielte Ausrottung ist hingegen die Kornrade (Bild 15)  verschwunden. Grund dafür ist, dass ihre Samen selber ein Gift enthalten und nur schwer aus den Getreidekörnern zu separieren sind, so dass es immer wieder zu schweren Vergiftungen durch die ins Brot eingebackenen Samen gekommen ist. Immerhin hat sie aber eine neue Chance als beliebte Sommerblume in unseren Ziergärten erhalten, und man ihre Samen überall bekommen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht über die Jahre durch züchterische Ambitionen verändert wird, wie es so viele andere Pflanzenarten erleben mussten – und oft nicht zu ihrer wirklichen Verschönerung.

Bleibt noch zu sagen, dass nicht nur die Ackerwildkräuter durch die moderne Landwirtschaft leiden. Vor allem das Rebhuhn (Bild 16) ist aus weiten Landstrichen verschwunden. Und das ist kein Wunder, lebt es doch bevorzugt von den Wildkräutersamen, eben genau den Körnern, die es mangels Mutterpflanzen gar nicht mehr gibt oder – wenn doch noch – mit Herbiziden belastet sind. Und auch die Feldhasen (Bild 17) sind nicht mehr so häufig wie ehedem. Tatsächlich sind sie meits auch keine Feldhasen im eigentlichen Sinne des Wortes mehr, sondern halten sich eher im Wald, auf Wiesen und entlang der Knicks auf.

Tja, wie weit sind wir gekommen… – aber das soll uns nicht darin hindern, dort, wo wir noch Felder mit Klatschmohn und Kornblumen haben, uns daran zu erfreuen und den Sommer mit seinen goldenen Felderweiten zu geniessen.
Dr. Heinz Klöser

Bild 14
Bild16
Bild 17


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