Januar – Die Schönheiten unseres Schmuddelwinters

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Fräulein Smilla weiß zu erzählen, daß die Inuit in Grönland 800 verschiedene Namen für ebenso viele verschiedene Sorten von Schnee kennen. Das ist beeindruckend, doch wären derartige Finessen in den bei uns üblichen depressionsfördernden Schmuddelwintern völlig übertrieben. Wir sind ja schon froh, wenn es bei uns im Winter überhaupt mal schneit; was für eine Sorte von Schnee, ist dabei ganz egal. Uns reicht dabei die – zugegebenermaßen krude – Unterscheidung zwischen Papp- und Pulverschnee.

Pappschnee, das ist nasser Schnee, im Grunde genommen Schneeregen mit vermindertem Regenanteil. Er fällt oft schon, wenn am Boden noch gar kein Frost ist, und zwar in dicken Flocken, die – wie der Name erahnen läßt – leicht überall haften bleiben, selbst an den senkrechten, glattrindigen Baumstämmen der Buchen (Bild 1).  Weil er ohnehin noch fast Wasser ist, bleibt er meist nicht lange liegen; aber für die kurze Zeit, die es dauert, kann er die Bäume regelrecht zuschütten (Bild 2) und dadurch den Wald in einen prachtvollen Winterpalast verwandeln. Das die schweren Schneelasten für die Bäume durchaus riskant sind, haben wir bereits früher schon einmal kennen gelernt.

Bild 2
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Pulverschnee hingegen ist trocken. Den Unterschied hört man sofort, wenn man hinein tritt. Pulverschnee gibt quatschende Geräusche, weicht die Schuhe auf, und man bekommt nasse Füße. Pulverschnee knirscht, und die Füße bleiben trocken. Er fällt fein  in einzelnen Schneekristalle aus den Wolken, und erst, wenn es schon ein paar Grade unter Null ist. Pulverschnee kann sich zwar auf Zweigen und Ästen anhäufen, haftet aber nicht, auch nicht aneinander, weil er kein flüßiges Wasser als Bindemittel enthält. So fällt er immer wieder von den Zweigen (Bild 3), so dass von ihm kaum die Gefahr eines Schneebruchs ausgeht. Und es ist der Pulverschnee, der – wenn’s denn sein soll – auch mal länger liegen bleibt, mindestens bis Heiligabend mittag (um dann doch noch einer Grünen Weihnacht Platz zu machen).

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Wenn es dann also taut, kann es natürlich  leicht geschehen, daß der Schnee bis zum nächsten Frost noch nicht ganz weg geschmolzen ist. Die angetauten Schneekristalle frieren wieder fest und verklumpen dabei zu mehr oder minder groben Eiskörnern, die den Harschschnee bilden (Bild 4). Der gibt geradzu kratzende Geräusche von sich, und den Wildtieren, deren Beine ja nicht von dicken Stiefeln geschützt sind, reißt er die Haut auf, so daß oft die zurückbleibenden Spuren blutig sind.

Bei der Schneeschmelze gehen merkwürdige Dinge vor. So findet man oft Steine im schwindenden Schnee, die einen luftigen Hof um sich herum haben. Wenn die Steine nämlich erst einmal aus dem Schnee heraus schauen, können sie sich in der Sonne erwärmen, so daß sie den Schnee um sich herum zu stärkerer Schmelze anregen (Bild 4). In ähnlicher Weise kann ein warmer Boden den Schnee von unten antauen: Legt sich gleich mit Einsetzen frostigen Wetters eine Schneedecke über das Land, friert der Boden mitunter gar nicht durch, weil Schnee eine so gute Isolationsschicht bildet. Wird das Wetter wärmer, schmilzt nun der Schnee nicht nur an der Oberfläche, sondern auch an der Unterseite. Es bilden sich Schneekavernen, und an der Schneeunterseite befindet sich ein Schmelzwasserfilm, der beständig in diese Kaverne abtropft. Nachts gefriert dieser Film aber wieder zu einer dünnen Eishaut. Dadurch bilden die Kavernen regelrechte Minitreibhäuser, Treibhäuser, die sich unweigerlich selbst zerstören, aber immerhin mit Grazie, denn bevor sie ganz verschwindet löst sich die Eishaut in anmutige filigrane Muster auf (Bild 5).

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Kaum ist der Schnee völlig weggeschmolzen, erreichen uns in regelmäßiger Gnadenlosigkeit  die Ostwinde, die die barbarische Kälte Sibiriens mit sich bringen.  Es sind diese schneefreien Barfröste, die den Gärtner ins Entsetzen und seine Pflanzen in den Tod treiben, aber sie bringen auch wundersame Phänomene, die wir unter Schnee verborgen nicht würden beobachten können. So schieben sich lange Eislanzen in Pfützen, Tümpel und Teiche, die sich schließlich durchdringen und eigenartige Gitterwerke bilden (Bild 6). Schnell fließende Bäche hingegen frieren nicht so leicht zu, aber das kalte Wasser gefriert an der Luft sofort, wenn es gegen einen Zweig oder etwas ähnliches spritzt. Dies geschieht natürlich ganz nah am Wasser häufiger als weiter oben, so dass sich Eiszapfen bilden, die verkehrt herum gewachsen zu sein scheinen (Bild 7). Sie haben alle ein stumpfes Ende, und zwar dort, wo sie regelmäßig ins Wasser tauchen und so kein weiteres Eis ansetzen können. Und so sehen sie aus, als habe ein Gnom gläserne Glocken über dem Bach aufgehängt. Aber auch in den Böden bildet sich vehement Eis – Eis, das sich ausdehnt und dabei aus den Bodenporen an die Luft drängt (Bild 8). Durch die bereits frostharte Oberfläche muß sich das Eis durch kleine Rissen und Spalten zwängen, so dass die Eisfiguren wie durch eine Spritzdüse geformt aussehen. Dieses sogenannte Kammeis kann dann durchaus größere Bodenpartien bedecken (Bild 9).

Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
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Dreht der Wind wieder und bringt wärmere Luftmassen aus südlichen Gefilden, dann trifft er auf Böden, die knochenhart durchgefroren sind. Die bodennahe Luft kühlt sich daran ab, und die Luftfeuchte kondensiert während dessen zu kleinen Tröpfchen aus. Mit anderen Worten: Es kommen trübe graue Nebeltage. Der Nebel schlägt sich jedoch an den ebenfalls gefrorenen Zweigen, Ästen und Stängeln als Eiskristalle nieder, die so lange stetig anwachsen, wie das Nebelwetter anhält. So bildet sich an Allem  ein zarter Besatz glitzernden Rauhreifs. Können die Eiskristalle ungestört in stiller Luft wachsen, umhüllt der Raureif Zweige und Stängel von allen Seiten (Bild 10). Wird der Nebel jedoch von kräftigem Wind durch Büsche und Gehölze gejagt, wachsen die Eiskristalle alle zur windabgewandten Seite (Bild 11), und mit der Zeit können sie zu regelrechten Eisbärten auswachsen (Bild 12).  Ein solch starker Rauhreifbehang läßt die Bäume mitunter genauso weiß erscheinen, als seien sie verschneit (Bild 13). Kommt endlich die Sonne heraus, strahlt die Welt in wundervoll glitzernder Pracht, doch leider verflüchtigt sich diese Pracht all zu schnell im Glanz der Sonnenstrahlen.

Bild 11
Bild 12
Bild 13
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Es geht aber auch anders: Brechen vom Atlantik her Winterstürme über uns herein, rauschen die wärmeren Luftmassen mit solcher Wucht über das gefrorene Land, dass keine Zeit zur Abkühlung bleibt. Dann prasselt Regen nieder, aber überall, wo er auftrifft, gefriert er sofort (Bild 14). Im Nu ist alles in glasiges Eis eingeschlossen (Bild 15 & 16). Das ist der Schwarze Frost, von Förstern gleichermaßen gefürchtet wie von Seeleuten. Im Wald brechen die Bäume unter der tonnenschweren Last des Eispanzers, und auf See werden die Masten und Takelagen so toplastig, dass die Schiffe in Gefahr geraten zu kentern.

Bild 15
Bild 16

Ein Wald im Schwarzen Frost ist ein unheimlicher Ort. Alles schimmert, aber der Wald ist düster und wirkt erstarrt (Bild 17). Gleichwohl ächzen die Bäume und beugen sich immer tiefer. Das Eis knistert unter diesen Verformungen, und manchmal bricht es knallend auf. Es ist nicht gut, in so einen Wald zugehen. Schon die bloßen Schritte sind auf all dem Eis riskant, und jederzeit kann ein Baum nachgeben oder Eisscherben von oben herab stürzen. Aber faszinierend ist es doch.
Dr. Heinz Klöser

Bild 17


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