Dezember – Die Verborgenen

Der Herbst ist vorbei, und nächtliche Fröste lassen uns einen langen Winter ahnen. Die Bäume sind nun endgültig kahl, Gras und Kräuter sind welk, alles abgestorben weit und breit. Doch wenn man genau hinsieht, findet sich doch noch Grün, winzig zwar, aber allgegenwärtig: Schauen wir uns ruhig einmal die Moose an, die wir in all dem üppigen Sommergrün kaum beachtet haben, und die wir meist nur als unscheinbare kaum merklich wachsende Polster (Bild 1 – Weißmoos) oder Matten (Bild 2 – Zackenmützenmoos) wahrnehmen, in Verkennung ihrer durchaus beachtlichen Formenvielfalt, die von algenähnlich aussehenden Lebermoosen (Bild 3 – Brunnenlebermoos & 4 – Kegelkopflebermoos) bis hin zu farnähnlichen (Bild 5 – Tamariskenmoos) oder bäumchenförmigen Gestalten (Bild 6 – Bäumchenmoos) reicht.

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Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5
Bild 6

Schon der Altvater der Biologen, Carl von Linné, stand etwas ratlos vor den Moosen. Im Gegensatz zu den mehr oder minder auffällig blühenden Höheren Pflanzen konnte er bei ihnen keine Blüten finden, genausowenig wie bei Algen und Farnen. Also dachte er wohl, dass sie nur im Verborgenen blühten und nannte all diese Gewächse Kryptophyten – die verborgenen Pflanzen. Allerdings blühen Moose keineswegs im Verborgenen; sie blühen gar nicht. Wie aber vermehren sie sich dann?
 
Moose streuen Sporen aus, und schon das weist sie als recht primitive Pflanzen aus. Im Laufe des Sommers wachsen aus den Moostrieben spitze oder kugelige Auswüchse, die die Sporen enthalten (Bild 7 – Bohnenmoos). Dies ist komplizierter, als es zunächst aussieht. Der Sporenbehälter, der sogenannte Sporophyt, ist nämlich kein bloßer Auswuchs, sondern eine selbstständige Pflanze. Wie geht das?

Bild 7

Wie alle Kryptophyten unterliegen auch die Moose einem Generationswechsel zwischen einer sich geschlechtlich fortpflanzenden und einer ungeschlechtlichen, sporenwerfenden Generation. Die Moose, die wir als grüne Pflanzen sehen, sind dabei die geschlechtliche Generation. Sie macht entweder männliche oder aber weibliche Fortpflanzungsorgane, die manchmal Blüten ähnlich sehen (Bild 8 – Heide-Frauenhaarmoos), aber dennoch viel zu primitiv sind, als dass sie jemals verständliche deutsche Bezeichnungen erhalten hätten. Wissenschaftlich heißen die männlichen Antheridien, die weiblichen Archegonien, die bei den meisten Moosarten jeweils getrennt auf verschiedenen Pflanzen, und das heißt auf verschiedenen Moospolstern entstehen. Wie kommen dann aber die männlichen Keimzellen zu den weiblichen? Die Antwort ist: Durch Regen. Bei Regen bildet sich ein Wasserfilm, in dem die männlichen Keimzellen ein bis zwei Zentimeter zurücklegen können. Müssen größere Distanzen bewältigt werden, muss es schon härter regnen, so dass die aufprallenden Regentropfen zurück spritzen und den mitgerissenen Keimzellen eine kleine Luftreise ermöglichen. Man sieht schon, so richtig ausgereift ist das Verfahren noch nicht.

Bild 8

Wie auch immer, bei Erfolg entwächst dem Archegonium, dem weiblichen Geschlechtsorgan, der Sporophyt. Der stellt die ungeschlechtliche, Sporen werfende Generation dar. Er wächst als Parasit auf dem weiblichen Moos, indem er Saugwurzeln in die Pflanzen treibt, ganz ähnlich wie die Misteln es auf ihren Wirtsbäumen tun, nur dass dieser Parasitismus im Sinne des Wirtes, der weiblichen Moospflanze, ist. Der Sporophyt entlässt die Sporen, aus denen wiederum männliche oder weibliche Pflänzchen der nächsten geschlechtlichen Generation keimen.

Auch in einer anderen Hinsicht sind Moose stark vom Wasser abhängig: Sie besitzen zwar wurzelartige Auswüchse, aber die dienen eher der Verankerung der Moospflanze. Sie können auch Nährstoffe aufnehmen, die dann von Zelle zu Zelle weitergereicht werden, nennenswerte Wassermengen jedoch nicht, da leistungsfähige Leitbündel, wie sie höhere Pflanzen für einen effektiven Wassertransport haben, den Moosen fehlen. Wasser kann also nur direkt über die Blättchen von der gesamten Pflanze aufgenommen werden. Kein Wunder, dass Moose um so üppiger gedeihen, je feuchter die Umgebung ist. Da die meisten Moose auch keine Möglichkeit haben, Wasser zu speichern, besitzen diese Arten oft eine erstaunliche Fähigkeit, komplett auszutrocknen, wenn es dennoch im Hochsommer einmal zu Wasserknappheit, kommt (Bild 9 – Sternmoos). Regnet es dann wieder, füllt sich das Moos erneut mit Wasser, die Blättchen straffen sich, und das Leben geht weiter (Bild 10 – ebenfalls Sternmoos).

Bild 9
Bild 10

Trotz dieser starken Wasserbedürftigkeit können wir Moose an den unglaublichsten Orten finden, unter Wasser (Bild 11 – Flutendes Sichelmoos) genauso wie an Baumrinden (Bild 12 – Schlafmoos) und gleichermaßen auch auf nacktem Gestein (Bild 13 – Goldhaarmoos) oder dürrem Sand (Bild 8), wo sie eine wichtige Rolle als Bodenbildner und damit als Wegbereiter einer höheren Vegetation spielen. Viele Moose, die auf solchen trockeneren Standorten zu Hause sind, haben zu ihrer hohen Austrocknungsfähigkeit noch eine weitere Anpassung entwickelt: Glashaare. Das sind durchsichtige, fadenförmige Auswüchse der Blättchen, die einen durchsichtigen Schirm über das Moospolster schaffen (Bild 14 – Kissenmoos), der ähnlich wie die Glasscheiben eines Gewächshauses das bei der Photosynthese verdunstete Wasser zurückhält.

Bild 11
Bild 12
Bild 13
Bild 14

Eine besondere Moosgruppe hat dann aber doch eine wirkungsvolle Methode zur Wasserspeicherung hervor gebracht: Die Torfmoose (Bild 15 – Gekrümmtes Torfmoos). Legt man ein Torfmoosblättchen unter das Mikroskop, kann man ein Netzwerk von Zellen mit Blattgrün erkennen, die die Photosynthese leisten. Dazwischen aber sind leere Zellen eingefügt, deren einzige Funktion es ist, als Wasserbehälter zu dienen (Bild 16). Und das klappt so gut, dass Torfmoose ins Gigantische anwachsende Polster bilden können, die völlig vom Grundwasser unabhängig werden und ihren gesamten Wasserbedarf aus Niederschlägen decken, nämlich die Hochmoore (Bild 17). In solch einem Hochmoor ist dann sogar Raum für mehrere Torfmoosarten, von solchen, die in den nassen Schlenken und Kolken wachsen (Bild 18 – Spieß-Torfmoos) bis zu jenen, die auf den erhöhten Bulten in den etwas trockeneren Bereichen zu Hause sind und oft prächtig rote Färbungen aufweisen (Bild 19 – Braunes Torfmoos). Da ist es mehr als bedauernswert, dass den meisten Mitmenschen zu Torfmoosen nichts Besseres einfällt als den im Hochmoor durch die Torfmoose gebildeten Torf abzubauen, eine Aktivität, die ebenso sinnlos wie schädlich ist und endlich verboten gehört.

Bild 15
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Bild 17
Bild 18
Bild 19

Andere Nutzungen von Moosen sind hingegen inzwischen so gut wie vergessen. So wurden die stattlichen Widertonmoose (Bild 20) früher zum Abdichten von Bootsbeplankungen und Hausverkleidungen herangezogen, aber auch als Polstermaterial in Matrazen gestopft. Ihren eigentlichen Wert hatten sie aber als Zaubermittel: Ihr Name Widerton leitet sich von „Wider (böses) Antun“ ab. Wenn man sieht, was in unserer Zeit so vor sich geht, wäre man fast versucht, sich erneut dieser magischen Verwendung zu bedienen…
Dr. Heinz Klöser

Bild 20


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