August – Unten am Fluss

Es ist Sommer, und da zieht es einen immer an’s Wasser. Die Meisten werden sich natürlich an den Badeseen einen schönen Tag machen wollen, ganz klar. Man kann jetzt aber auch an See- und Flussufern spazieren gehen und sich unversehens auf einer Entdeckertour wieder finden. Auf den ersten Blick steht man ja eher vor amazonasartigen Gehölzen und Röhrichten, friedlich und still, aber doch eher grün statt blumenbunt (Bild 1). Doch wenn man in die richtigen Winkel schaut, offenbaren sich die Schätze der Elbaue. So bieten die Ufer der Elbe gerade im August eine Reihe von Blüten, die uns Norddeutschen eher ungeläufig sind, Pflanzen, die sich aus unterschiedlichen Gründen hier eingefunden haben und die man als sogenannte „Stromtalpflanzen“ zusammenfasst.

Bild 1

Die wohl prächtigsten Blüten am Fluss dürfte der Wiesenalant (Bild 2) bieten, eine Pflanze, die wie alle Stromtalpflanzen abseits des großen Stromes sehr selten ist oder gar nicht vorkommt. Warum diese Pflanze von der Wissenschaft ausgerechnet als Inula britannica benannt worden ist, ist schleierhaft, denn auf den Britischen Inseln kommt sie kaum vor. Tatsächlich ist der Wiesenalant eine Pflanze aus den Steppen und Wüsten des inneren Eurasiens, wo er im Umfeld der dortigen Flussoasen zu Hause ist. Was will er dann aber hier?

Bild 2
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Bild 6
Bild 7

Zunächst einmal muss man sich klarmachen, dass die Steppen sich durchaus bis nach Mitteleuropa hinein ausdehnen, und zwar in Form inselartiger Vorposten, die man in südlicheren Teilen Deutschlands als blumenbunte, orchideenreiche Kalktrockenrasen kennt. Nun sind Kalkfelsen im Norden eher selten, wenn man mal von Rügen und Mön absieht, und so kommen viele der Pflanzen, die auf solchen Standorten wachsen, hier nicht vor – es sei denn, ihre Samen fallen in’s Wasser der vorbei strömenden Flüsse, die die Kalkgebirge durchbrechen.

Dann nimmt das Wasser sie mit, und irgendwo flussabwärts, und manchmal ziemlich weit flussabwärts bei uns, werden diese Samen dann angespült und können auskeimen. Nun sind die Lebensbedingungen auf einem trockenen Felsen sicher nicht dieselben wie an einem nassen Flussufer, und damit stellt sich die zweite Frage; nämlich, wieso eine Pflanze trockener Standorte auf einmal in Flussauen zurecht kommt.

Das geht, weil die für uns so eintönig aussehenden Sandbänke (Bild 3) recht unterschiedliche Standorte bieten. Am wasserdurchtränkten Ufer ist natürlich nass, klar, aber nur wenige Dezimeter darüber ist der Sand, der kaum Wasser binden kann, trocken und von der Sonne ausgedörrt. Und genau hier finden Steppenpflanzen weitab ihrer ursprünglichen Heimat eine Bleibe. Dies gilt nicht nur für den Wiesenalant, sondern auch für eine ganze Reihe anderer solcher Arten, zum Beispiel dem Mannstreu (Bild 4), der ganz nah mit der Stranddistel der Küstendünen verwandt ist, dem Flohkraut (Bild 5), dem Schillergras (Bild 6) oder dem Sandwegerich (Bild 7), der mit seinem aufrechten Stiel so gar nicht dem Bild der rosetten-wüchsigen Wegeriche entspricht, die wir so kennen.

Wenn sich aus der Sandbank eine richtige Insel entwickelt, die sich mit einer geschlossenen Vegetation bedeckt, bleiben solche Inseln in ihrem Inneren mitunter noch lange offen und geben niedrigen Trockenrasen eine Chance, wie man es auf den lang gezogenen Sandinseln unterhalb von Hamburg noch sehen kann (Bilder 8 & 9). Während der Wiesenalant an offene Sandflächen gebunden ist, bleiben die anderen genannten Arten auch dann als Bestandteil solcher Rasen erhalten. Dabei ist sicher hilfreich, dass der Sand, den die Elbe aufspült, als Sediment aus dem Binnenland mit einem gewissen Quantum Kalk vermischt ist und nichts mit den armen eiszeitlichen Sanden zu tun hat, die man sonst so im Norden findet.

Während und kurz nach der Eiszeit, als keine höhere Vegetation dem Einhalt gebieten konnte, haben die Winde den Sand aus den Sandbänken oft auch zu hohen Wanderdünen aufgeschichtet, die die Flussauen begleiten und so mächtig wurden, dass sie heute noch vom Wald nur schwer oder gar nicht besiedelt werden können, wie zum Beispiel in den Besenhorster Sandbergen (Bild 10). An solchen Orten stellt man immer wieder mal fest, dass der Transport von Samen nicht immer nur flussabwärts gerichtet ist.

Bild 8
Bild 9
Bild 10
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Die Seewinde blasen beständig Samen von Küstenpflanzen in’s Binnenland, und auf den alten eiszeitlichen Dünen können sie geeignete Wuchsorte finden, so dass auch Arten wie der Strandhafer (Bild 11) im Elbtal zu finden sind.

Nun finden sich im Elbetal nicht nur Trockenheit liebende Pflanzen ein, sondern auch manche, die es feucht bis nass mögen. Warum ihnen nur das Tal der großen Elbe genehm ist und die Auen kleinerer Flüsse und Bäche nicht zusagen, ist ihr Geheimnis. Gleichwohl findet bei uns nur im Elbtal man Arten wie die Brenndolde (Bild 12) und die vor allem an ihren großen, spindelförmigen und schwarz glänzenden Samen erkennbare Süßdolde (Bild 13), eine Pflanze, aus deren Wurzeln man früher Lakritz gekocht hat. Möglicherweise wirkt die größere Wassermasse des Stroms ein wenig ausgleichend auf die winterlichen Wetterkapriolen, während es den aus dem wärmeren Südosten stammenden Kräutern abseits des Stroms schon zu rau ist. Aber genau wissen wir das nicht.

Vollends rätselhaft wird es, wenn man bemerkt, dass es auch echte Waldpflanzen gibt, die man nur entlang des Stroms finden kann, und zwar keineswegs Pflanzen der zum Strom gehörenden Weidenauwälder, sondern Charaktere der Buchenwälder, die die Steilhänge zwischen Geesthacht und Boizenburg bedecken, wie zum Beispiel der Hainwachtelweizen (Bild 14), der mit seinen gelben Blüten und blauen Hochblättern eine echte Schönheit ist.

Und wo wir gerade bei Schönheiten sind: Zwei Pflanzen, die erst seit jüngerer Zeit zu unserer Flora gehören, haben sich gerade in der Elbaue eingefunden. Dies ist einmal das allbekannte Schneeglöckchen (Bild 15), eine Waldpflanze des Mittelmeerraums, die sich bei uns überall mal aus den Gärten ins Umland ausbreitet (nicht zuletzt durch Gartenabfälle…), aber immer unbeständig bleibt und schließlich nach ein paar Jahren wieder verschwindet. Nicht so im Elbtal; dort gilt es als dauerhaft eingebürgert. Und ähnlich sieht es mit der hübschen Mähnengerste (Bild 16) aus, einem Gras aus den Prärien Nordamerikas. Man würde erwarten, dass es auf allen Industrieländern Deutschlands erscheint. Tut es auch, aber nur sporadisch – dauerhaft hingegen im Elbtal.

Bild 13
Bild 14
Bild 15
Bild 16

Schließlich soll noch ein besonderer, aber wenig bekannter und auch von Naturschützern oft übersehener Lebensraum erwähnt werden, der mit zwei großen Spezialisten aufwartet: Die Süßwasser-Tideelbe (Bild 17), die heutzutage unterhalb des Sperrwerks in Geesthacht beginnt. Dies ist ein Bereich, der unter keinerlei Einfluss von salzigem Meer- oder Brackwasser steht, sondern reines Süßwasser aufweist.

Bild 17

Dennoch bewirkt das Meer bereits Gezeiten, und zwar deshalb, weil der Fluss nicht abfließen kann, während im Meer Flut herrscht, sondern sich aufstaut, bis mit der Ebbe im Meer auch der Abfluss der Elbe wieder in Gang kommt. An die Bedingungen dieser durch Gezeiten geprägten Flussaue haben sich die Wiebelschmiele (Bild 18) und der Schierlings-Wasserfenchel, den man an seinen rötlichen Früchten (Bild 19) von ähnlichen Wasserfenchelarten des Binnenlands unterscheiden kann, so stark angepasst, dass sie nun nirgendwo sonst in der Welt wachsen; sie sind zu Unterelbe-Endemiten geworden, wie der Fachmann sagt. Die beiden Arten teilen sich ihren begrenzten Lebensraum, indem der Schierlings-Wasserfenchel die trocken fallenden Schlammflächen besiedelt, während die Wiebelschmiele in den Weißweidenauwäldern und auf Schotterbänken seine Heimat findet. Dass beide durch die erneuten Pläne, die Elbe zu einem Schifffahrtskanal auszubauen, in ihrer Existenz bedroht sind, hat sich ja inzwischen unter Naturschützern herum gesprochen.

Hoffen wir aber, dass es nicht so kommt und dieser einzigartige Fluss, in dessen Aue sich Pflanzen der Küste mit jenen der Steppen treffen und dann auch noch ganz eigene Spezialarten auftreten, einfach so bleiben darf, wie er ist. 
Dr. Heinz Klöser

Bild 18
Bild 19


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