Oktober – Bunt sind schon die Wälder…

           
                                       Bunt sind schon die Wälder,
                                       Gelb die Stoppelfelder,
                                       Und der Herbst beginnt.
                                       Rote Blätter fallen,
                                       Graue Nebel wallen,
                                       Kühler weht der Wind.

Kennt das noch jemand? Der Text gehört zu einem der schönsten Volkslieder zum Herbst (finde ich wenigstens). Aber wenn man sich das genau anschaut: „Rote Blätter fallen…?“ Wo denn bitte? Wer viel draußen ist, weiß, daß rote Blätter in unseren Herbstfarben eher selten sind. Unsere Herbstwälder brillieren mit einer Melange aus noch-grün, strahlend-gelb und schon-braun (Bild oben). Am ehesten bringt es noch die Rotbuche, die nach ihrem rötlichen Holzt benannt ist und nicht nach der Farbe ihres Herbstlaubes, auf ein mehr oder minder angedeutetes Orange (Bilder 2 und 3). Der Rest ist – nun ja – gelb (Bild 4).

Bild 2
Bild 3
Bild 4

Schaut man dann in die große weite Welt hinaus, erblickt man die flammenden Herbstfarben des „Indian Summer“ in den Wäldern des nordöstlichen Nordamerika (Bild 5) und – weit weniger bekannt, aber nicht weniger prächtig – in den Wäldern Japans, Koreas und der Amurregion Ostasiens. Auch dort prangen die Bäume tatsächlich in allen Schattierungen von Zinnober bis Scharlach (Bild 6). Da kann man schon neidisch werden (Seufz…).

Bild 5
Bild 6

Dementsprechend haben schon früh findige Gärtner die Bäume solcher Gebiete nach Europa geholt, auf daß sie auch hier ihr Feuerwerk entfalteten. Und so kann man heute tatsächlich alle nur möglichen Herbstfarben zumindest in Parks bewundern – sofern die Parkbäume immer wieder neu aus Samen gezogen werden, die den Ursprungsgebieten der jeweiligen Arten entstammen! Mittlerweile hat sich nämlich ein interessanter Effekt eingestellt:
 Nehmen wir zum Beispiel die Roteiche. Die hat ihren Namen nun tatsächlich auf Grund ihres tief scharlachroten Herbstlaubs erhalten (Bild 7). Die Roteiche wurde schon früh, im 17. Jahrhundert, nach Europa importiert und fand rasch Verbreitung auch als Forstbaum. Die seither vergangenen Jahrhunderte haben für mehrere Generationen dieses Baumes gereicht, und längst ist die Roteiche auch wieder ein Bestandteil unserer wildwachsenden Flora geworden, der sie (oder eine sehr nah verwandte Form) in früheren Zwischeneiszeiten schon einmal angehört hatte. Nur hat sie über die aufeinander folgenden Generationen in Europa ihr rotes Herbstlaub verloren. Statt dessen zeigt sie bei uns eher gelbe Farben, mit ein paar orangenen Anklängen (Bild 8), oder gleich Braun. Aber warum macht sie uns die Freude nicht mehr?

Bild 7
Bild 8

Zunächst einmal ist Herbstlaub das, was übrig bleibt, wenn die Bäume vor dem heran nahenden Winter alle wertvollen Inhaltsstoffe  in die dauerhaften holzigen Teile verlagern, insbesondere das Blattgrün. Die bei uns übrig bleibende gelbe Herbstfarbe signalisiert also nur, daß die Blätter „ausgeschlachtet“ wurden, bevor sie abgeworfen werden. In Nordamerika oder Ostasien passiert im Prinzip genau das gleiche, doch kommt ein wesentlicher Unterschied hinzu:
Schauen wir uns den Globus an, dann finden wir die europäischen Laubwälder im Westen der riesigen eurasiatischen Landmasse, während die Laubwälder Ostasiens und Nordamerikas auf den Ostseiten der Kontinente liegen. Alle drei Gebiete liegen aber in der Westwindzone, und das heißt, bei uns bringen die Winde überwiegend milde Luft aus dem offenen Ozean mit, während an den Ostseiten die Westwinde aus dem Inneren der Kontinente blasen. Und dort ist es in der Regel schon früher deutlich kälter als in küstennäheren Regionen. Mit den Winden kommen also frühe Fröste zu einer Zeit, wenn die Sonne eigentlich noch genug Kraft besitzt, das Wachstum der Pflanzen anzuheizen. In so einer Situation lohnt es sich für die Pflanzen, ihre Photosynthese aufrecht zu halten, wenn sie nur über die kalten Nächte kommen können. Dabei hilft ihnen ein eigens produzierter Farbstoff, der die Photosynthese auch bei niedrigen Temperaturen unterstützt, und dieser Hilfsstoff ist eben rot. So gewinnen die Bäume morgens und abends noch wertvolle zusätzliche Stunden, in denen noch ein paar Reserven für den kommenden Winter erzeugt werden können.

Wetterlagen mit fast noch heißen Tagen und bereits frostigen Nächten sind bei uns jedoch eher die Ausnahme. Wir erleben ein mehr oder weniger allmähliches Abkühlen. Solange die Sonne tagsüber noch Kraft hat, gibt es noch lange keine Nachtfrostgefahr, und wenn die ersten Fröste kommen, ist es in der Regel auch am Tag nicht mehr warm und sonnig genug, als daß die Bäume damit noch etwas anfangen könnten. Extra einen Hilfsstoff zu produzieren, lohnt sich ganz einfach für unsere Bäume nicht, und also lassen sie es bleiben. Und selbst die Amerikaner und Ostasiaten, die nicht zuletzt wegen ihres schönen Herbstlaubes importiert wurden, sparen sich den Aufwand nach ein paar Generationen, wie uns die Roteiche gezeigt hat. Aus der Traum! Rot leuchtende Herbstwälder sind uns einfach nicht zugedacht.
Aber gemach, so schmucklos sind unsere Wälder nun auch wieder nicht. Und manchmal zieht sich unser Herbst über sechs Wochen hin. Das schaffen die Wälder Ostasiens und Nordamerikas nie; ihre verschwenderischen Farben halten gerade mal zwei Wochen – ein Feuerwerk, ja, aber ein schnell verlöschendes. Der Herbst dort ist eher so etwas wie ein spätsommerlicher Absturz in den Winter. Ein Wochenende, an dem einem ein wichtiger Termin dazwischen kommt, und schon kann man den ersehnten Herbstspaziergang auf’s nächste Jahr verschieben!
Nicht so bei uns: Unser gemächlicherer Herbst läßt uns Zeit, ihn zu genießen. Vielleicht ein Glas junger Wein in einer noch warmen Sonne, und all die goldene Pracht um uns herum (Bild 9). Das ist doch was!
Dr. Heinz Klöser

Bild 9


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