Die nahe liegendste Erklärung, daß sie es tun, um sich vor der winterlichen Kälte zu schützen, ist schon mal falsch. Immerhin wachsen weiter im Norden Fichten in großen Mengen, und die sind immergrün (Bild 3). Es ist also keineswegs notwendig, das Laub abzuwerfen, um der Kälte trotzen zu können. Warum tun es all die Buchen, Eichen, Linden, Birken, Ahorne aber dann?
Um das beantworten zu können, müssen wir weit in die Vergangenheit zurück gehen, etliche Millionen Jahre, bis vor die Eiszeit. Damals, kurz vor der Katastrophe, die die Dinosaurier auslöschte, und noch einige Millionen Jahre danach, herrschte an den Polen ein warmes Klima, so dass dort Wälder wuchsen. Nun bleibt ein Pol auch in einem warmen Klima ein Pol, an dem es 6 Monate ununterbrochen Sonnenlicht gibt und 6 Monate ununterbrochene Polarnacht. 6 Monate tiefe Dunkelheit! Wie hält eine Pflanze das aus? Noch dazu bei Temperaturen, die ihren Stoffwechsel in Gang halten? Dazu muß man wissen (und das ist unter Nicht-Biologen, also den meisten von uns, kaum bekannt), daß Pflanzen genauso wie wir Sauerstoff veratmen und Kohlendioxid freisetzen (die sogenannte Dunkelreaktion). Bei Licht allerdings erzeugen sie über die Photosynthese so viel mehr Sauerstoff und eigene Biomasse, daß das in der Gesamtbilanz nicht großartig ins Gewicht fällt. Aber bei 6 Monaten ohne einen Sonnenstrahl? In diesem Fall verliert die Pflanze durch die Dunkelatmung so viel Kohlenstoff (aus dem ja ihre Biomasse aufgebaut ist), dass sie letztendlich regelrecht verhungert. Wir verlieren ebenfalls Kohlenstoff durch Atmung, aber wir können das durch Essen wieder wettmachen, und das geht ja auch im Dunkeln. Diese Möglichkeit hat die Pflanze aber nicht; sie braucht Licht, wenn sie ihre Kohlenstoffverluste ausgleichen will. Und wenn das über längere Zeiten nicht möglich ist, bleibt nur, die Verluste, so gut es geht, einzuschränken, bis die schlechte Zeit vorüber ist. Genau das machen also die Bäume: Sie werfen die nutzlos gewordenen Blätter, die ihnen jetzt nur ein Defizit einbringen, ab, nachdem sie alle wertvollen Inhaltsstoffe der Blätter im Stamm geborgen haben. Der Laubwurf ist also nicht eine Anpassung an winterliche Kälte, sondern an winterliche Dunkelheit bei hohen Temperaturen - Bedingungen, die es heute in dieser Kombination gar nicht mehr gibt.