Mai: Von Schönheit und Gift

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Nein, wir wollen nicht von mittelalterlichen Lösungen für Eheprobleme berichten. Die Schönheit, der wir uns heute widmen wollen, ist das Reh (Bild 1); und das Gift gehört einem der markantesten Bäume in unserer Landschaft, der Eibe (Bild 2). Die Eibe? Gibt’s doch gar nicht bei uns. Stimmt. Gab es aber mal, und zwar ziemlich flächendeckend, aber das ist lange her. Die Eibe ist ein altehrwürdiger Baum, sowohl, was ihre ursprüngliche Position in der Evolution der Nadelbäume betrifft, als auch das Lebensalter, das sie erreichen kann: Stolze 2000 Jahre. Das heißt, die Eiben, derentwegen schon der alte Cäsar  die germanischen Urwälder als dunkel und finster bezeichnet hat, müßten eigentlich noch am Leben sein. Sind sie aber nicht, denn man hat der Eibe in der Zwischenzeit übel mitgespielt. Zum einen hat die Eibe ein einzigartig dauerhaftes und flexibles Holz, so daß es speziell zum Bau von Bögen verwendet wurde (schon Ötzi hatte so einen dabei, vor 5200 Jahren!). Schon das reichte aus, daß sich im 16. und 17. Jahrhundert regelrechte Handelsmonopole mit dem immer rarer werdenden Eibenholz entwickelten.

Selbstverständlich wurde Eibenholz auch zum Hausbau und vor allem zum Bau von Hafenanlagen benutzt. Ein Aderlaß, mit dem ein Baum, dessen Eigenschaft es ist, lange, aber langsam zu wachsen, nur schwer Schritt halten konnte. Vor allem aber wurde sie von den Bauern, die ihr Vieh frei im Wald weiden ließen, bekämpft, denn Kühe und Pferde sterben, wenn sie sich den Magen mit Eibenlaub voll stopfen. Das Gift der Eibe ist schon lange bekannt, die Kelten bereiteten ein Pfeilgift daraus, und Abtreibungen konnte man damit auch nachhelfen. Alles an dem Baum ist giftig, na ja, fast alles: Einzige Ausnahme ist der rote Samenmantel (Bild 3). Den kann man essen, aber die Samen und die Stiele muß man besser ausspucken, wenn man fatale Folgen vermeiden will. So ist die Eibe im Laufe der Zeit dermaßen zugrunde genutzt und als obskure Giftpflanze gerodet worden, daß sie bei uns praktisch ganz ausgerottet worden ist. Überlebt hat sie eigentlich nur, weil sie für den Gartenbau entdeckt wurde, denn man kann prima Hecken daraus schneiden. Diese Tatsache, und die übliche Kurzlebigkeit jeglicher Gartengestaltung hat leider zur Folge, daß man die prächtigen Stämme alter Bäume (Bild 4) kaum noch zu sehen bekommt. Was aber die meisten Gärtner bestätigen können, ist, daß sich die Eibe in Gärten willig selbst aussamt.
Warum aber breitet sie sich dann nicht von den Gärten in die Umgegend aus, wie es viele andere Arten auch tun, und erobert sich die Wälder zurück? Die Antwort ist: Weil Rehe sie fressen. Das taten sie schon immer (und einige andere Waldtiere auch). Aber es macht natürlich einen Unterschied, wenn überall große Eibenbestände stehen, von denen man etwas wegfuttert, oder ob es verstreute kleine Keimlinge sind, die man en passant mitgehen läßt. Und so verhindern heutzutage vor allem die Rehe eine Regeneration der Eibenbestände. Nur dort, wo Rehe ungern hin gehen, kommen heute noch Eiben natürlich vor, und das hat zum Mythos des Eibensteilhangwaldes geführt (Bild 5). Tatsächlich hätten natürliche Wälder weithin einen geschlossenen Eibenunterwuchs (Bild 6), wenn unsere Altvorderen ihn nicht gnadenlos beseitigt hätten. 

Damit ergeben sich aber zwei Fragen: Warum fressen Rehe die Eiben überhaupt, und warum überleben sie das? Die erste Frage ist genau so wenig geklärt wie die zweite. So hat man keine speziellen Anpassungen im Verdauungssystem der Rehe feststellen können. Man hat vermutet, daß Wiederkäuer allgemein weniger gefährdet durch das Eibengift seien, aber die Kuh ist auch ein Wiederkäuer, und die fällt tot um. Möglicherweise ist es einfach so, daß ein Reh nicht wie ein Rasenmäher frißt, wie Kühe es an sich haben,  sondern mal hier und mal da etwas abnibbelt. Auf diese Weise kommt dann einfach nicht die tödliche Dosis zusammen. Es gibt – und damit kommen wir zur ersten Frage – sogar die Vermutung, daß das Eibengift in sehr dünner Konzentration als Rauschdroge wirkt, und die Rehe deswegen so erpicht auf die seltene Eibe sind. Das Reh als Junkie! Interessanter Gedanke; so high sind sie dann aber nicht, daß man vermuten könnte, daß sie ihren Nachwuchs vernachlässigen, wie es die Junkies unserer eigenen Art ja durchaus tun. Gerade jetzt im Mai stolpert man ja mal gelegentlich über Rehkitze, die allein und verlassen zu sein scheinen (Bild 7). Aber sie sind sehr wohl beaufsichtigt. Die Mutter, die irgendwo in der Nähe Futter sucht – womöglich Eiben – hat ein waches Auge auf sein Kitz und wartet nur darauf, daß wir wieder verschwinden.

Deshalb: Kurz hinschauen und sich freuen, aber dann auch zügig weitergehen und vor allem: Nicht streicheln oder ähnlichen Unfug – hat das Kitz erst einmal Menschengeruch, wird es die Mutter verstoßen. Und dann droht ihm – auch ohne Eibengift - ein elender Tod, und das wollen wir ja nicht.
Dr. Heinz Klöser

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Bild 6
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