BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Juni - Der unscheinbare Rhododendron

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Es ist Juni, und in den Gärten und Parks stehen die Rhododendren in voller Blüte. Zugegeben, vielen Naturschützern sind Rhododendren ein Dorn im Auge, und sie sähen es lieber, wenn in den Gärten statt dessen Holunder und Haselnüße gepflanzt würden. Ungeachtet dessen erfreuen sich Rhododendren ungebrochen großer Beliebtheit. Besonders große, alte Rhododendren, wie sie in manchen Parks und um alte Villen herum stehen, sind prachtvolle und bewundernswerte Erscheinungen. In den schattigen Kuppeln ihrer grünen Blätterbaldachine entdeckt man ein Gewirr krummer, bemooster Stämme und Äste, die sich im Dunkel verlieren und nicht nur in fantasiebegabten Kindern eine Ahnung an heimliches Treiben von Elfen und Feen erweckt (Bild 1). Ich denke schon, man sollte solche altehrwürdigen Pflanzengestalten respektieren und würdigen.

Während diese immergrünen, großblättrigen Arten, die aus Ostasien, dem Mittelmerraum und Nordamerika zu uns geholt wurden, wohl jedem bekannt sind, ist nur wenigen bewußt, daß wir auch einen einheimischen Rhododendron besitzen. Er ist zwar gerade mal anderthalb Meter hoch, wenn er ausgewachsen ist, und auch seine Blüten sind weder groß und auffallend, noch leuchtend rosa, violett oder pastellfarben wie die seiner großen Verwandten, sondern weiß und recht klein. Dennoch ist er eine Kostbarkeit. Die Rede ist vom Sumpfporst (Bild 2).

Im Sumpfporst einen Rhododendron zu sehen, erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. Selbst die Botaniker haben ihn lange in eine separate Gattung gestellt – unter dem lateinischen Namen Ledum. Zu groß war wohl der Unterschied zwischen unserem bescheiden wirkenden Sumpfporst und den gärtnerischen Prachtgestalten. Es hilft aber nichts, die exakte wissenschaftliche Analyse hat ergeben, daß der Sumpfporst in die riesige Gattung Rhododendron gehört, die mit über 400 Arten auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitet ist.

Bild 2

Unser Sumpfporst wächst in sogenannten Kiefernwaldmooren, einem Moortyp, den es in den (ehemals) großen Moorgebieten um die Nordseeküste herum nicht gibt, sondern der in Schweden und Finnland und von dort bis weit nach Sibirien hinein vorkommt (Bild 3). Diese von schütteren Kiefern - und dem Sumpfporst - bewachsenen Moore geben somit unserer Region eine besondere, nach Nordosten weisende Verbindung die andere Regionen Schleswig-Holsteins nicht haben. Dabei sind Moore in unserem sonnigeren, kontinentaler geprägten Klima an sich schon nicht selbstverständlich. Im Gegensatz zur regenreichen Westküste, wo es bis zur ihrer Zerstörung durch den Menschen Moorflächen gab, die ganze Landschaften bis zum Horizont und darüber hinaus überzogen, finden sich bei uns nur kleine Moore, die aus der Verlandung eiszeitlicher Seen hervor gegangen sind und kaum in der Lage sind, sich über die Fläche des ursprünglichen Sees hinaus auszubreiten, wie es im ozeanischeren Westen der Fall ist.

Bild 3

Gleichwohl sind unsere kleinen Moore die Heimat einer vielfältigen Pflanzenwelt. Nicht nur der Sumpfporst wächst dort. In Tümpel mit torfbraunem Wasser schieben sich die schlangenartigen Triebe von Fieberklee (Bild 4)und Sumpfkalla (Bild 5). Die Sumpfkalla, früher wegen der Form ihrer Blätter schlicht Schweinsohr genannt, ist eine besonders auffällige Pflanze, der man auf Anhieb ansieht, daß sie als Aronstabgewächs zu einer eigentlich tropischen Verwandtschaft gehört (Bild 6). Trotzdem ist die Sumpfkalla wie unser Sumpfporst eher im rauheren kontinentalen Klima zu Hause. Und natürlich gehört auch die Kiefer in diesen Kreis. Weithin als Forstbaum an Stellen gepflanzt, wo sie nicht hingehört, ist sie in den nordischen Nadelwäldern zu Hause und hat auf den Mooren bei uns ihren einzigen natürlichen Standort.

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Andere Arten haben unsere Moore mit jenen des ozeanischen Westens gemeinsam, darunter der Sonnentau (Bild 7), von dem viele gehört haben, aber den kaum jemand wirklich schon einmal gesehen hat. Er hat es als botanische Kuriosität zu einer gewissen Berühmtheit erlangt: Er frißt Insekten. Der Namen gebende, auch in der Sonne nicht verdunstende Tau auf seinen Blättern ist in Wahrheit ein Verdauungsekret, das unglückliche Insekten auflöst und damit die Nährstoffbilanz des Sonnentaus aufbessert. Eine andere Art aus dem milderen Westen ist der Beinbrech (Bild 8), ein entfernter Verwandter der Lilien. Er wächst in Massen auf Moorwiesen, und seinen martialisch klingenden Namen hat er erhalten, weil sich die Kühe, die auf solchen Wiesen gehalten wurden, tatsächlich leicht die Beine brachen. Daran war aber nicht diese kleine Pflanze schuld, sondern der notorische Kalkmangel in moorigen Böden. Die Kühe wurden schlicht am falschen Ort gehalten, so daß sie zu wenig Kalk mit ihrem Futter aufnehmen konnten und dadurch brüchige Knochen bekamen. Für die Bauern wurde die kleine Blume dann recht schnell zu einer zuverlässigen Zeigerpflanze.

Bild 7
Bild 8

Es gibt aber nicht nur Pflanzen im Moor, sondern auch Tiere. Am auffälligsten sind wohl die Libellen, Vertreter einer uralten Verwandtschaft, die schon durch die Lüfte von Sumpfwäldern schwirrte, als noch nichts darauf hindeutete, daß es einmal so etwas wie Dinosaurier geben würde. Die Dinosaurier sind längst ausgestorben, die Libellen aber gibt es immer noch und erfreuen uns heute als fliegende Edelsteine (Bild 9). Umso weniger beliebt sind diejenigen, die sie aus der Luft fangen. Gemeint sind die Spinnen, denen wir mit unserer tief sitzenden Abneigung Unrecht tun; ohne die Spinnen würden wir schlicht vor allerlei Ungeziefer kapitulieren müssen, das aber dankenswerterweise in ihren Netzen hängen bleibt. Eine ihrer Arten, die hell gefärbte Moorkreuzspinne (Bild 10), weist erneut in den Osten. Für uns ein Tier der Moore, liegt ihre Hauptverbreitung in den weiten Steppen Eurasiens bis in die Mongolei hinein. Es fällt zunächst schwer, die Verbindung unserer nassen Moore mit dem solchen Trockengebieten zu finden. Doch bieten Moore oberhalb des nassen Bodens in der Tat ein Mikroklima, das geringere Luftfeuchtigkeit, stärkere Sonneneinstrahlung und höhere Temperaturschwankungen als umliegende Wälder bieten, genau der Unterschied, der auch die Wälder von den Steppen scheidet.

Bei all diesen Skurilitäten und Besonderheiten ist es blamabel, dass wir so wenig auf unsere Moore Acht gegeben haben. Sie wurden urbar gemacht, ihr Torf abgebaut, sogar heute noch, wie die Pläne, im mecklenburgischen Teil der Schaalseeregion ein weiteres Kiefernwaldmoor abzutorfen, zeigen. Und was machen wir mit dem Torf, dessen Abbau das Moor irreversibel zerstört und damit auch den Lebensraum des Sumpfporstes und seiner Begleiter vernichtet? Wir versuchen damit die großen Gartenrhododendren auf Böden durchzubringen, für die sie nicht geeignet sind, denn sie vertragen keinen Kalk. Die Gärtner sprechen von Moorbeetpflanzen, aber das ist grundfalsch. Der wirkliche Lebensraum der großen Rhododendronarten sind Bergwälder und Bergmatten, und zwar auf mineralischen, aber eben kalkfreien Böden. Absurder könnte die Situation kaum sein: Um Rhododendren im Garten zu pflegen, vernichten wir die Vorkommen eines anderen Rhododendrons, eben des Sumpfporstes, und das, obwohl seine großen Verwandten nicht einmal Moorverhältnisse mögen. Dies ist ein schlechter Witz – mögen die Gartenpflanzen auch noch so schön sein.

Warum aber ist der Sumpfporst solch eine Kostbarkeit, die wir nicht gegen exotische Arten eintauschen sollten, wenn er nur einer von vielen Arten und unter diesen ein eher unscheinbarer Vertreter ist? Die Antwort wurde schon dem kleinen Prinzen gegeben, als er darum trauerte, dass seine Rose nur klein und unscheinbar unter den vielen anderen Rosen auf der Welt war. Sie lautete: Es war eben seine Rose, die zu ihm gehörte, und das machte sie zu etwas ganz Besonderem. Und so ist es auch mit unserem Sumpfporst: Er ist eben unser kleiner, bescheidener Rhododendron, und keine Pracht der Welt kann darüber hinweg täuschen, daß er zu uns und unserer Landschaft gehört, und das macht auch ihn zu etwas ganz Besonderem.
Dr. Heinz Klöser

Bild 9
Bild 10
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2012/juni_der_sumpfporst/