Der Winter ist eine gute Zeit, um einmal zu versuchen, Spuren zu lesen. Da die in unseren Wäldern noch vorkommenden Großtiere allesamt zu den Paarhufern gehören, sind sie auch alle an paarigen, vorne spitzen und hinten stumpfen Trittsiegeln zu erkennen. Schwieriger wird es, wenn man es genau wissen will, denn dann muß man die verschiedenen Größen und Nuancen in der Krümmung der Linien und andere Details unterscheiden können. Eine Art jedoch besitzt unverkennbare Merkmale, die sie ohne jeden Zweifel von den anderen Huftieren (die der Jäger Schalenwild nennt nach den im Waidmannsmund als Schalen bezeichneten Hufen) unterscheiden, und das sind die so genannten Afterklauen. Afterklauen sind kleine zusätzliche Hufe an den Hinterseiten der Beine. Sie sind Reste von Fingern der bei den Urahnen der Huftiere noch vollständig fünfzähligen Gliedmaßen. Auch Hirsche und Wildschafe haben sie, doch sind sie bei ihnen nur noch kaum erkennbare Rudimente, die keinerlei Funktion mehr haben.
Anders bei den Wildschweinen, um die es heute gehen soll. Wildschweine sind ursprünglich in Sümpfen, Röhrichten und Bruchwäldern zu Hause, wo sie es leicht haben, im dort weichen Boden nach Nahrung zu wühlen. Da sie aber relativ schwer sind, besteht die Gefahr, im Sumpf zu versinken. Und um das zu verhindern, genau dazu dienen ihre einzigartig stark entwickelten Afterklauen. Auf weichen Böden spreizen sich die Hufe auseinander, und die Afterklauen machen es auch, so daß das Wildschwein nicht nur mit spitzen Hufen, sondern mit einer breiten Fußfläche auftritt. Dementsprechend ist das Trittsiegel eines Wildschweins immer daran zu erkennen, daß es vier Abdrücke gibt: zwei für die normalen Hufe und zwei für die Afterklauen (Bild links). Sie helfen dem Wildschwein auch im winterlichen Schnee, nicht allzu tief einzusinken (Bild rechts). Und so macht auch ein schneereicher Winter den Wildschweinen nicht allzu viel aus. Ganz im Gegenteil, der Schnee schützt den Boden vor Frösten, so daß die Wildschweine auch im Winter im Boden wühlen und dort Nahrung finden können (Bild unten), die im Winter aus Wurzeln und Zwiebeln, Engerlingen, winterstarren Amphibien und Schnecken und vielem anderen besteht. Wenn die Fröste so hart werden, daß auch unter dem Schnee der Boden gefriert, können die Wildschweine eine Weile von Aas und ähnlichem leben. Ihre Verbreitungsgrenze nach Norden wird daher nicht durch schneereiche Winter gesetzt, sondern erst dann, wenn der Boden für längere Zeit hart gefroren bleibt.
Dr. Heinz. Klöser