BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Dezember – die Weihnachtsmistel

Die Adventszeit hat begonnen, und damit taucht – zumindest auf den Weihnachtsmärken – eine Pflanze wieder auf, die in Schleswig-Holstein einmal heimisch war, aber schon seit vielen Jahren ausgemerzt wurde: Die Mistel. Sie war ohnehin nicht übermäßig häufig in unseren Landen. Obwohl sie in Europa weit verbreitet ist, von Skandinavien bis in den Mittelmeerraum, scheint sie Küstenregionen zu meiden, und da Schleswig-Holstein ja bekanntlich meerumschlungen ist, gab es von vorneherein hier nur wenige Vorkommen auf dem Geestrücken. Bei derart eingeschränkter Verbreitung war es ein Leichtes, sie auch hier auszurotten. Aber warum das? Die Mistel hat eine parasitische Lebensweise und siedelt sich unter anderem gerne auf Apfelbäumen an. Da man ihr nachsagt, daß sie die befallenen Bäume zum Absterben bringt, hatten die Obstbaumbesitzer einen verständlichen, gleichwohl aber nicht wirklich gerechtfertigten Haß auf die Mistel.

Bild 1

Tatsächlich ist die Mistel ein sogenannter Halbschmarotzer, das heißt: Sie hat grüne Blätter (Bild 1) und macht ihre eigene Photosynthese wie jede andere Pflanze (außer Vollschmarotzern natürlich), ist aber darauf angewiesen, Wasser und Nährstoffe anderen Pflanzen zu entziehen. Sie macht dies, indem sie hochspezialisierte Wurzeln in das Holz ihrer Wirtspflanze einsenkt, die in deren Leitbündel eindringen, wo sie sich nehmen können, was sie brauchen. Die Wirtspflanze reagiert oft, indem sie knollenartige Verdickungen um die Senkwurzeln der Misteln bildet. Interessanterweise haben Versuche ergeben, daß die Mistel nicht nur nimmt, sondern auch gibt. Im Zuge von Experimenten hat man den Wirtspflanzen alle grünen Teile abgeschnitten (Bild 2), so daß sie nicht mehr in der Lage waren, selber Photosynthese zu machen. Die Pflanzen sind aber keineswegs deswegen abgestorben, sondern wurden von den Misteln mit Photosyntheseprodukten beliefert, so daß für beide Pflanzen ein Überleben gesichert war.

Bild 2
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Letzten Endes ist es für einen richtigen Parasiten nicht von Vorteil, ihren Wirt bis auf ein lebensbedrohliches Maß zu plündern – stirbt der Baum, muß auch die Mistel sterben (Bild 3). Eine solche Lebensweise befähigt die Mistel, sich hoch oben in den Baumkronen anzusiedeln. Die Mistelart, die bei uns einmal vorgekommen ist, wächst nicht nur auf Obstbäumen, sondern auf einer Fülle verschiedener Laubbäume, darunter Pappeln und Weiden (Bild 4), Eichen (Bild 5), Birken (Bild 6) und verblüffenderweise auf gerne auf den aus Nordamerika zu uns gekommenen Robinien (Bild 7). Und wenn im Herbst unsere Bäume ihr Laub abwerfen, kommen die immergrünen Misteln zum Vorschein und prägen geradezu die kalte Jahreszeit als Symbol des immerwährenden Lebens. Kein Wunder, daß sie zu einem Sinnbild der Weihnachtszeit geworden sind.

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Dies wird noch verstärkt dadurch, daß die unscheinbaren, aber nach Orangen duftenden Blüten der Mistel erst im Herbst erscheinen (Bild 8), während sie selbst oft eine gelbe Herbstfarbe annimmt (Bild 9). Die Früchte, leicht glasig durchscheinende und deshalb ein wenig perlenartig wirkende Beeren, reifen dann mitten im Winter (Bild 10) und werden im Gegensatz zu vielen anderen Beeren, die noch bis in den Winter hinein an Zweigen hängen, nicht durch Eis und Schnee verdorben (Bild 11).

Bild 8
Bild 9

Vielleicht war es diese Eigenschaft, trotz widriger Umstände unverdrossen blühen und fruchten zu können, was die Mistel nicht nur zu einem Weihnachtsschmuck, sondern auch zu einem Symbol der jungen Liebe gemacht hat. So war und ist es in England üblich, daß sich Verliebte unter einem Mistelbusch küßen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn die Küße wollen verdient sein. Der Brauch verlangt, daß die junge Dame nur jeweils einen Kuß pro Beere hergibt, und die Beeren hängen oft ziemlich hoch…

Ein weiterer Grund für diese Sitte ist vielleicht auch, daß Mistelbeeren stark klebrig sind. Allerdings liegt seitens der Mistel der Sinn dafür sicher nicht darin, die beiden Liebenden unzertrennlich zu machen, sondern darin, die Samen an die richtigen Stellen zu platzieren. Vögel, die die Beeren aufpicken, streifen ihre verklebten Schnäbel an den Zweigen, auf denen sie sitzen, ab, und damit haften die Samen genau in den luftigen Höhen, die für das Wachstum der Mistel geeignet sind.
Wo Liebe ist, da ist auch Fruchtbarkeit nicht weit, und so sollen in früheren Zeiten Frauen, denen kein Kindersegen beschieden war, Mistelzweige unter das Kopfkissen gelegt haben. In diesem Kontext steht wohl auch ein alter Brauch, der Kuh, die das erste Kalb gesetzt hatte, Mistelbeeren (zum Glück nur die Beeren, denn alles andere an der Mistel ist giftig) unter das Heu zu streuen, vielleicht auch, um dem Kalb etwas von der Dauerhaftigkeit der Mistel zu verleihen, da in alten Zeiten früh geborene Kälber oft starben, weil die Mutterkuh so früh im Jahr noch nicht genug Milch liefern konnte, da sie selbst dann oft zu wenig Futter hatte.

Man ahnt schon: Mit der Mythologie um die Mistel und um deren Heilkräfte sind ganze Bücher gefüllt worden; von den alten Griechen über die keltischen Druiden bis hin zu unseren germanischen Altvorderen und auch weit über Europa hinaus - allen war die ungewöhnliche Mistel heilig (nur unseren Obstbauern nicht…). Hier jedoch muß eine kleine Auswahl genügen. Es soll aber noch erwähnt werden, daß die Mistel nicht nur mit positiven Legenden verknüpft war.
So erschien dem nordischen Gott Baldur eine Vorahnung, daß er ermordet werden solle. Daraufhin nahm seine Göttermutter Freja allen Lebewesen das Versprechen ab, ihrem Sohn nichts zu Leide zu tun. Leider übersah sie dabei die Mistel. Woraufhin der finstere Loki einen Pfeil aus Mistelholz schnitzte, ihn dem blinden Bogenschützen Hödur unterschmuggelte, so daß der versehentlich und unwissentlich Baldur erlegte.

Es bliebe zu klären, ob ein Brauch, der gerade hier in Holstein üblich ist, auf derart ungewöhnliches Jagdglück in grauer Vorzeit zurück geht. Jedenfalls durfte ein holsteinischer Jäger, der sich einen Mistelzweig an den Hut steckte, auf besonders reiche Beute hoffen. Damit wäre wieder alles gut, wenn es denn noch Misteln bei uns gäbe, die solches Hoffen fördern könnten.
Dr. Heinz Klöser

Bild 10
Bild 11
Quelle: http://archiv.bund-herzogtum-lauenburg.de/projekte/monatsbeobachtungen/2012/dezember_die_mistel/